Schöne Bescherung
Schnabel genervt und wollte zu einer kurzen Erklärung über Zeitverzögerung, Aufwand etcetera ausholen.
»Und ob das geht«, gab Herr Wilhelm zurück. »Das muss gehen – oder wollen Sie, dass ich mir blutige Knie hole?«
Das konnte Schnabel natürlich nicht wollen. Also schüttelte er halbherzig den Kopf.
»Na also. Herr Plotek!«, schrie Wilhelms Hasenscharte, »Herr Plotek! Ich brauche meine Tube für die Schuppenflechte.«
Wenn schon, dann gegen die Schuppenflechte, dachte Plotek, und: Hol sie dir doch selber. Das musste Herr Wilhelm dann doch nicht, denn Schnabel hatte schon die Klappe des Gepäckraums geöffnet und Herrn Wilhelms Koffer herausgezerrt, so dass die Hasenscharte die Salbe an sich nehmen konnte.
Der eine Brandherd war gelöscht, schon flackerte der nächste auf.
»Das ist mein Platz!«, schrie Frau Klinkermann plötzlich im Bus.
»Was? Aber vorher bin ich doch hier. . .«, wollte Skolny sagen, während Frau Klinkermann schon heftig an ihm zerrte, dass die blasslila Locken auf dem Kopf herumhüpften, als wäre Musik in den Haarspitzen. Frau Klinkermann versuchte, den bereits sitzenden Skolny vom Platz zu verscheuchen.
»Weg, weg da, das ist mein Platz, das ist. . . wo ist meine Handtasche?«
»Keine Ahnung, vielleicht auf Ihrem Platz.«
»Das ist mein Platz!«
»Kann ich helfen?«, mischte sich Herr von Alten ein.
»Meine Handtasche! Mein Platz!«, schrie Frau Klinkermann und ihre Halsschlagadern schwollen an, dass sie drohten zu platzen. Ihre Gesichtsfarbe veränderte sich und passte sich farblich den Locken an.
»Stehen Sie doch bitte mal auf«, sagte Herr von Alten zu Skolny und klimperte langsam mit den Augenlidern, vermutlich um ihm zu verdeutlichen, dass er, von Alten, ihn, Skolny, durchaus verstehe, aber er, Skolny, auch ihn, von Alten, und sie, Frau Klinkermann, verstehen müsse. Plotek verstand gar nichts. Herr Skolny erhob sich langsam vom Sitz.
»Ehrlich gestanden ist es mir eigentlich egal, wo ich . . .«
»NEIIIIIIN!!!!!!«, schrie Frau Klinkermann so laut, dass alle anderen im Bus zusammenzuckten. Die Handtasche lag auf dem Sitz, auf dem eben noch Herwig E. Skolny gesessen hatte.
»Nicht so schlimm. Jetzt ist sie ja wieder da«, versuchte Herr von Alten Frau Klinkermann zu beruhigen und klimperte noch schneller mit den Augenlidern. Was er jetzt damit verdeutlichen wollte, war Plotek wieder mal nicht ganz klar. Allen anderen offenbar schon. Auch sie waren derselben Ansicht wie Herr von Alten: Kann passieren, halb so schlimm. Aber: Irrtum. Darf nicht passieren, doch schlimm. Warum? Das wusste zuerst nur Frau Klinkermann. Sie schrie, schluchzte und weinte, als ob die Handtasche jetzt nicht wieder da, sondern für immer verloren wäre. Dann wussten es auch alle anderen.
Frau von Ribbenhold schlug die Hand vor den Mund. Heinz und Helga nahmen sich bei der Hand. Herr Wilhelm seufzte, nahm die Herbert-Wehner-Brille von der Nase und fing an, sie manisch mit dem Hemdzipfel zu putzen. Frau Weller wollte es nicht glauben und sagte: »Das gibt’s doch nicht!«
Ihre Mutter weinte wieder und murmelte vor sich hin: »Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt/Gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.«
Herr Stremmel schüttelte sichtlich erschüttert den Kopf, als würde er gerne etwas sagen – auch auf die Gefahr hin jetzt zu stottern – , aber er wusste nicht, was.
Skolny stammelte, zwar wenig überzeugend, aber immerhin: »Tut mir leid.«
Selbst Marie-Louise hob den Blick von ihrem Mädchenmagazin, hörte auf, Kaugummi zu kauen, und starrte auf die Handtasche. Dann guckte sie ganz schnell wieder weg, dann wieder hin, dieses Mal mit der gespreizten Hand vor dem Gesicht. Quasi gucken, aber nur zwischen den Fingern.
Schnabel schlug mit der flachen Hand auf eine Kopfstütze und brummte, mehr in sich hinein als aus sich heraus: »Kruzifix!«
Nur Kita Kubella grinste und Silke Klein schien als Einzige unbeeindruckt. Kein Wunder, sie konnte ja den Grund der Reaktionen nicht sehen. Als sich nämlich der schwergewichtige Skolny auf die Handtasche setzte, drückte er die Handtasche komplett zusammen. Die Handtasche war platt. Was einer Handtasche aus robustem Leder eigentlich nichts ausmachen dürfte. Machte ihr auch nichts aus. Dem, was sich darin befand, allerdings schon. Das, was davon übrig war, sah nicht gut aus. Matsch sah es aus, als Frau Klinkermann mit zittrigen Fingern die Handtasche öffnete. Plotek erinnerte es an die Matschbirne im Alzgerner Forst. Es war
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