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Schöne Bescherung

Schöne Bescherung

Titel: Schöne Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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Reaktion von Plotek. Mit diesem Begriff konnte er gar nichts anfangen. Er kannte nur Fellatio. Aber damit kann es wohl kaum etwas zu tun haben, dachte Plotek. Aber egal: Plotek wurde rot. Bloß gut, dass Silke Klein es nicht sehen konnte.
    »Auch Motiv retinae genannt. Oder hämatogene Netzhautablösung.«
    Langsam dämmerte es Plotek.
    »Sie müssen sich das so vorstellen, die Netzhaut ist durchlöchert wie eine Fliegenpatsche.« Plotek wollte es sich gar nicht vorstellen. Aber Silke Klein wurde immer konkreter. »Zur Netzhautablösung kommt es, wenn der Glaskörper die Netzhaut von der Unterlage abzieht oder Flüssigkeit in ein Netzhautloch dringt und so die Netzhaut vom sogenannten Pigmentblatt abhebt.«
    Das klingt jetzt ziemlich nüchtern und wie auswendig gelernt, dachte Plotek, aber deswegen nicht weniger schlimm.
    »Angefangen hat es mit Lichtblitzen. Zuerst vereinzelt, dann immer häufiger. Dann kamen schwarze Punkte hinzu. Ein Schwarm schwarzer Punkte.«
    Sie nahm ihr Glas.
    »Prost.«
    »Prost.«
    »Man macht sich anfänglich ja keine Gedanken. Das kommt schon mal vor, denkt man. Das kennen Sie bestimmt auch, Plotek, oder?«
    Wieder keine Reaktion von Plotek.
    »Man sieht Sternchen, wenn man zu schnell aufsteht zum Beispiel – der Kreislauf, denkt man, wird schon wieder.«
    Klar kannte das Plotek. Vor allem nach zu viel Alkohol.
    »Wurde nicht«, sagte Silke Klein. »Wurde immer schlimmer. Das Gesichtsfeld schränkte sich immer stärker ein. Ein schwarzer Vorhang tauchte immer wieder auf, von der Seite, von oben – schrecklich! Man nimmt es trotzdem nicht richtig ernst. Spielt es herunter. Überarbeitet, Stress – kein Wunder bei dem Druck. Der Arbeitsmarkt erlaubt keine Fehler, der Job keine Krankheitstage. Man schiebt es auf die lange Bank. Im Urlaub gehe ich zum Arzt, sagt man sich. Jetzt geht es nicht, unmöglich. Die Modenschau muss organisiert werden – ein Großauftrag, alles hängt davon ab. Da kneif ich nicht nur die Arschbacken zusammen, sagt man sich, sondern auch beide Augen.«
    Sie lachte. Schönes Lachen, dachte Plotek.
    »Das verging mir dann, das Lachen. Als es zu spät war.« Sie trank wieder. »Trotz Operation war nichts mehr zu machen. Blind. Das ist wie ein Todesurteil – lebenslang.«
    Sie lachte wieder. Entweder ist die ein bisschen gaga, dachte Plotek, oder Lachen ihre Art der Kompensation, der Bewältigung. Das gibt’s. Es gibt Menschen, die lachen vor Trauer. Zum Beispiel bei Beerdigungen. Manche lachen da auch aus Freude, aus Genugtuung, dass der Drecksack endlich tot ist.
    Silke Klein lachte jetzt nicht mehr, sondern erzählte ohne Punkt und Komma ihre halbe Lebensgeschichte. Einfach auslaufen lassen, dachte Plotek und hörte stoisch zu. Manchmal sagte er »mmh«, »ach« oder »aha«. Einmal »interessant«. Obgleich er es weder ach noch aha noch interessant fand. Eher mmh. Er wusste vielmehr, dass Kommunikation im Prinzip nichts anderes ist als die Erzeugung schönen Scheins, mit dem der Mensch sich vor anderen und damit letztlich auch vor sich selbst verbirgt. Hat er mal irgendwo gelesen und nie mehr vergessen und sich seither daran gehalten. Eisern – und meistens geschwiegen. Und wenn’s sein musste, zugehört, wie jetzt.
    Ploteks Stärke war eindeutig das Zuhören. Eigentlich war es Plotek egal, was ihm erzählt wurde. Das merkte nur niemand. Oder wollte niemand merken. Auch Silke Klein nicht. Als sie fertig war, fragte sie: »Und Sie?«
    Plotek dachte kurz nach und sagte dann: »Nichts!«
    Silke Klein lachte. Es war wieder ein sehr schönes, warmes Lachen. Sogar mit ziemlich viel erotischer Ausstrahlung. Das entschädigte für die vielen Worte.
    Stremmel und Skolny waren zurück.
    »I-i-ich g-g-geh ein w-w-w-wenig L-l-l-luft sch-sch-sch-schnappen«, sagte Stremmel.
    »Ich geh schlafen«, Silke Klein.
    »Und Sie?«, fragte Skolny.
    Plotek zuckte mit den Schultern.
    »Trinken wir noch einen.«
    Plotek nickte und Skolny bestellte Becherovka.
    »Prost.«
    »Prost.«
    Lange sagte keiner der beiden etwas. Höchstens »Prost« und »Prost«.
    Sie saßen auf den Barhockern und starrten vor sich hin. Angenehm, dachte Plotek, sehr angenehm. Noch angenehmer als Zuhören ist das Schweigen. Als er dann gedanklich ganz beim Schweigen war, sagte er schließlich doch noch etwas. Irgendwie musste ihm das herausgerutscht sein.
    »Haben Sie sich eigentlich absichtlich auf den Zwerghasen gesetzt?«, sagte er, ohne den Blick vom Tresen zu nehmen, so leise und fast tonlos, als wäre es

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