Schöne Khadija
Bus folgen und das würde ich sicher nicht tun. Am besten zog ich die schwarzen Kleider wieder aus und machte mich an meine Hausaufgaben.
Fünf Minuten lang redete ich mir diese vernünftigen Dinge ein.
Dann nahm ich meine Tasche und ging hinaus.
Wie fühlt sich das an?
Wenn man selbst keinen Schleier trägt, will man das wissen, nicht wahr? Egal, ob man es lustig oder entsetzlich findet, man will wissen, wie man sich hinter so einer schwarzen Tarnung fühlt.
Die erste Antwort ist – schrecklich. Als ich in den Bus stieg, befürchtete ich, dass der Busfahrer mich sofort durchschauen würde, als ich mein Ticket kaufte. Was willst du mit dieser Verkleidung, Kleine? Gehst du auf ein Kostümfest?
Er tat es natürlich nicht. Er nahm nur mein Geld und gab mir mein Ticket, ohne mich auch nur anzusehen. Ich ging verlegen durch den Bus, setzte mich an ein Fenster und starrte auf die Straße.
Lähmende Fragen schossen mir durch den Kopf. Was sollte ichtun, wenn sich ein Mann neben mich setzte? Sollte ich ihm antworten, wenn er mich nach der Uhrzeit fragte? Oder sollte ich ihm nur meine Uhr zeigen? Oder ihn komplett ignorieren? Ich hatte keine Ahnung, wie man sich in den Kleidern, die ich trug, angemessen benahm. Also saß ich auf der äußersten Sitzkante und wagte kaum zu atmen.
Es setzte sich niemand neben mich. Niemand sprach mich an. Ich war wie unsichtbar. Die einzige Person, die überhaupt von mir Notiz nahm, war eine Frau in einem Kostüm, die kurz vor dem Battle Hill einstieg. Als sie an mir vorbeiging, verzog sie säuerlich das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Sie warf mir nur einen Blick zu und wandte sich dann demonstrativ ab.
Es war banal, aber es reichte, um mich zittern zu lassen. Als ich ein paar Haltestellen weiter ausstieg, fühlten sich meine Beine schwach und unsicher an. Sei nicht dumm, sagte ich mir ernst. Ich würde nur am Battle Hill spazieren gehen und Sandy suchen. Was war daran so furchterregend?
Ich bog in die erste Nebenstraße ein und ging an einem schäbigen kleinen Laden mit Gemüse in den Regalen vorbei. Nebenan war ein Internetcafé mit einem schönen neuen Schild: S G Access. In der Straße dahinter standen niedrige Wohnblocks zwischen kahlen Rasenflächen.
Ich ging um eine weitere Ecke – und befand mich auf Kollisionskurs. Ein Mann mittleren Alters kam auf mich zu – und sah bewusst an mir vorbei, als ob ich gar nicht da wäre.
Zumindest kam es mir so vor. Und das machte mich wütend, also zog ich ein böses Gesicht und ging weiter. Erst nach ein paar Schritten wurde mir klar, dass das reine Zeitverschwendung war. Mein Mund war verdeckt und meine Augen konnten die Botschaft allein nicht übermitteln. Ich hätte ebenso gut unsichtbar sein können.
Einen Augenblick lang hätte ich mir gerne den Schleier heruntergerissen und ihn angeschrien. Doch dann kam mir der Gedanke, dass Unsichtbarkeit auch MACHT bedeutete. Er wusste nicht, wer ich war. Er hatte keine Ahnung, was ich dachte oder was ich vorhatte. Wennich einfach weiterging, würde er in den Rinnstein ausweichen müssen. Es sei denn, er wollte direkt gegen mich prallen.
Bis zur letzten Sekunde ließ ich ihn raten. Bis sein Blick zu flackern begann und ich sah, dass er anfing nachzudenken. Dann senkte ich den Kopf und trat beiseite. Er ging an mir vorbei, als ob ich nicht existierte, aber ich sah, dass ich ihn erschreckt hatte. Sein Gesicht verriet ihn.
Ich hatte mich auch selbst erschreckt. Ich bin nicht jeden Tag auf Konfrontationskurs mit Wildfremden. Mein Herz hämmerte heftig und ich war schon fast bereit, aufzugeben und nach Hause zu gehen. Wo zum Teufel war Sandy? Ich lief schneller und kam auf der Suche nach ihr durch eine Straße nach der anderen.
Aber ich konnte sie nirgendwo finden. Ein Stück weiter weg sah ich zwei verschleierte Frauen, aber sie gingen zusammen und hatten ein paar Kinder dabei. Und außerdem waren sie beide einen halben Kopf größer als Sandy.
Ich lief die Straße entlang und ging um die Ecke. Immer weiter und weiter, zwanzig Minuten oder länger. Ein oder zwei Leute sahen mich merkwürdig an, aber niemand sprach mit mir und schließlich war ich der Meinung, dass Sandy nach Hause gefahren sein musste.
Genau da entdeckte ich sie natürlich. Als ich wieder zur Bushaltestelle ging, kam ich in die Straße mit dem Internetcafé. Dort stand sie, am anderen Ende, vor dem kleinen Laden. Ich erkannte sie sofort daran, wie sie die Schultern hielt und an der offen
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