Schöne Khadija
nicht böse. Aber ich war es – und was hatte ich schon zu verlieren, wenn ich die Wahrheit sagte?
»Ich bin böse, weil ihr das Modespiel mitmacht«, sagte ich. »Warum will ein Mädchen wie Khadija ihre Zeit mit so etwas verschwenden?«
Ich war darauf hereingefallen, mit Abdi zu sprechen, weil er derjenige war, der auf meine Fragen antwortete. Aber Khadija wollte nicht daneben sitzen, während wir über sie sprachen.
»Ich brauche einen Job«, sagte sie. »Ich muss Geld verdienen.« Ihr Gesicht war wie eine Maske, aber ich sah, dass sie genauso wütend war wie ich.
Automatisch gab ich zurück: »Ach ja? Es geht also nur ums Geld? Glaubst du wirklich, dass das das Wichtigste in der Welt ist?«
Sobald die Worte herauswaren, erkannte ich, wie ekelhaft ich klang. Verwöhntes reiches Mädchen. Du siehst auf jemanden herab, der für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss. Schnell versuchte ich, den Schaden einzugrenzen.
»So einfach ist das nicht, weißt du. Manche Models verdienen eine Menge Geld, aber die meisten nicht. Und es ist ein hartes Leben.«
»Hart?«, fragte Abdi. »Was ist denn so schwer daran, hin- und herzulaufen?«
Sie hatten keine Ahnung. Wie sollte ich ihnen das erklären? Ich suchte noch nach Worten, als das Telefon klingelte.
Es war Sandy. »Ich bin in Merrys Büro. Wie schnell könnt ihr hier sein?«
Ich war so erleichtert, dass ich sofort aufsprang, ohne meinen Kaffee auszutrinken. »Gehen wir«, verkündete ich knapp. »Sandy wartet.«
Als wir ankamen, saß Merry immer noch am Schreibtisch, aber jetzt hockte Sandy auf dessen Rand und unterhielt sich mit ihr. Sobald dieTür aufging, hörte sie auf zu reden und richtete ihren Blick auf Khadijas Gesicht.
Merry griff zum Telefon. »Ich hole Belinda.«
»Keine Fotos«, verlangte Sandy geistesabwesend.
Merry starrte sie an. Selbst ich starrte sie an. Das war ja, als ob man jemanden zu einem Probespiel bei Manchester United holt und dann sagt: »Keinen Fußball!« Was war denn der Sinn eines Models, wenn man sie nicht fotografieren konnte? Das war der wichtigste Test.
Sandy erklärte es nicht. Sie nickte nur Khadija zu. »Lauf für mich«, verlangte sie. »Geh im Zimmer auf und ab.«
Abdi trat beiseite und ging aus dem Weg und Khadija begann zu gehen, zögernd zuerst, doch dann immer selbstbewusster. Mit zurückgenommenen Schultern und den Kopf hocherhoben auf dem langen, geraden Hals stolzierte sie hin und her. Sie lief überhaupt nicht wie ein Model. Wenn Models laufen, sagt alles an ihnen Seht mich an! Seht das Bild an, das ich abgebe! Khadija nutzte ihren Körper nur, um sich fortzubewegen.
Merry sah ihr mit geschürzten Lippen und schief gelegtem Kopf zu. Einmal versuchte sie, Sandys Blick aufzufangen, aber da hatte sie keine Chance. Sandy konzentrierte sich völlig auf Khadija. Merry kritzelte schnell etwas auf einen Notizblock und sah weiter zu.
Sie und Sandy arbeiteten völlig unterschiedlich. Merry blickte sehr lebhaft hin und her, sie runzelte die Stirn und kaute auf der Lippe. Aber Sandy verharrte völlig still und ihr Gesichtsausdruck blieb eisern. Ich hatte keine Ahnung, was sie dachte – aber ich spürte, wie sie sich auf Khadija konzentrierte, die auf und ab ging, auf und ab, auf und ab …
H ungrig und erschöpft erreichten sie endlich das Lager. Unterwegs waren die letzten Kamele gestorben und sie besaßen nichts mehr außer dem, was sie mit sich trugen.
Mahmouds kleine Schwestern begannen zu weinen, als sie die hässlichen provisorischen Zelte an der Straße sahen. Es waren Hunderte und Hunderte, dicht beieinander, und davor saßen Kinder und spielten im Dreck.
»Uskag«, sagte Zainab. Schmutzig. Und dann begann sie zu weinen.
Mahmoud betrachtete das Gesicht seiner Mutter, als sie das Lager sah. Machte sein Anblick sie auch unglücklich? Tat es ihr leid, dass sie so weit gelaufen waren, um an einen so erbärmlichen Ort zu kommen?
Doch sie zeigte keine Regung. Sie sah aus wie immer, stark, entschlossen und fröhlich.
»Weine nicht wegen solcher Kleinigkeiten«, ermahnte sie Zainab. »Solange die Dürre währt, ist dies ein guter Ort für uns. Wir suchen uns einen Platz und dann gehe ich los und besorge uns etwas zu essen.«
Aber so einfach war das nicht. Man konnte sich nicht einfach irgendwo niederlassen – nicht einmal mit so kleinen Hütten wie unseren, hergestellt aus Zweigen und gewebten Matten. Mahmouds Onkel mussten stundenlang auf eine Genehmigung warten. Und als sie endlich einen Platz zugewiesen
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