Schöne Khadija
ein Zeichen des Wiedererkennens an.
Merry legte das Telefon weg und schwang ihren Stuhl herum. »Nun?«, fragte sie ungeduldig.
Ich beugte mich über ihren Schreibtisch. »Sie ist es«, murmelte ich.
Merry runzelte die Stirn. »Sie scheint sich nicht an dich zu erinnern.«
»Das ist, weil …« Weil sie dein Gesicht nicht gesehen hat, fiel es mir schließlich ein. Aber das konnte ich Merry nicht erklären. Sie ist vielleicht meine Taufpatin, aber sie gehört nicht zu Sandys Team. Und Sandy achtet stets genau darauf, nichts zu verraten. Besonders nicht Merry. Sie ist vielleicht meine älteste Freundin, sagte sie oft , aber sie kann nicht widerstehen, damit anzugeben, wie viel sie weiß.
»… weil sie nur Augen für Sandy hatte«, improvisierte ich.
»Hmmm.« Merry dachte natürlich, dass ich sie zum Narren hielt. Sie wirbelte ihren Stuhl wieder herum. »Also, ich kann nicht den ganzen Tag verschwenden, nicht einmal für deine liebe Mutter. Wenn dieses Mädchen nicht mit dir vorliebnimmt, kann sie sich eine andere Agentur suchen.«
Sie hob die Stimme, damit das Somali-Mädchen sie auch klar verstand. Aber die zeigte keine Reaktion und ihr trotziger Gesichtsausdruck wurde nicht weicher.
»Warum gehe ich mit ihnen nicht einen Kaffee trinken?«, schlug ich vor. »Wenn sie ein bisschen entspannter sind, ändern sie vielleicht ihre Meinung.«
»Vielleicht«, knurrte Merry.
»Ich könnte auch gleich wieder in die Schule zurückfahren«, erklärte ich. Möglichst missmutig, um sie daran zu erinnern, dass ich ein eigenes Leben hatte.
Merry sah mich an und grinste. »O.K., O.K. Ich weiß, du bist eine Heilige. Und das mit dem Kaffee ist eine gute Idee. Wenn du mir eine halbe Stunde Zeit lässt, mich mit Molly zu befassen, kann ich danach über sie hier nachdenken. Und vielleicht taucht ja bis dahin auch Sandy auf.«
Ich grinste zurück, ging auf die beiden zu und sagte so freundlich wie möglich: »Ich bin Sandys Tochter Freya. Sandy wird noch eine Weile brauchen, also, warum warten wir nicht bei Starbucks? Ich gebe einen Kaffee aus.«
Der Junge murmelte etwas und das Mädchen runzelte kurz die Stirn. Dann nickte sie und stand auf. Ich hatte schon vergessen, wie gut sie sich bewegte. Mit zwei eleganten, langen Schritten war sie an Merrys Schreibtisch und streckte die Hand aus, um die kleine weiße Karte wieder an sich zu nehmen. Als sie sie sicher in der Tasche verwahrt hatte, ging sie zur Tür.
Verlier sie nicht , raunte mir Merry hinter ihrem Rücken zu.Ich kaufte drei Cappuccinos und brachte sie an den Tisch. Der Junge hatte sich auf den einzigen Stuhl fallen lassen, sodass wir ihm gegenüber auf der Bank saßen. Im Fenster hinter seinem Kopf sah ich unsere Spiegelbilder. Neben Khadijas dunkler Erscheinung wirkte ich rosa und missmutig. Mit diesem Gesicht hätte selbst Dad nichts anfangen können.
»Ich bin Freya«, wiederholte ich, als ich die Kaffees abstellte. »Und ihr?«
Sie zögerten kurz, sahen sich an und nannten mir dann ihre Vornamen.
»Abdi.«
»Khadija.«
Das war’s. Je ein Wort. Es würde schwer werden, Konversation zu machen. Einen Augenblick lang kam mir sogar französische Literatur ziemlich spannend vor. Ich holte tief Luft, um mich zu beruhigen, und versuchte es erneut.
»Woher kommt ihr? Wohnt ihr im Battle Hill?«
Wieder sahen sie sich vorsichtig an. Dann antwortete Abdi: »Irgendwo da in der Nähe.«
Hielten sie mich für eine Art Spionin? Und selbst wenn, was hatten sie denn zu verbergen? Wenn sie mit Merry so gesprochen hatten, war es kein Wunder, dass sie wütend geworden war.
Ich hätte so weitermachen und eine blöde Frage nach der anderen stellen können. Aber die Aussicht kam mir so langweilig vor, dass ich lieber gestorben wäre. Also lehnte ich mich zurück und sah Khadija über den Rand meiner Tasse hinweg an.
»Was macht ihr überhaupt hier? Willst du wirklich für Sandy arbeiten? Und den Rest deines Lebens auf dem Laufsteg herumstiefeln, in Kleidern, die sich normale Menschen nicht leisten können?«
Khadija runzelte die Stirn. Dann neigte sie sich zu Abdi und murmelte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Jetzt, wo ich sie besser kenne, weiß ich, dass sie nicht unhöflich sein wollte, aber genau dieses Gefühl hatte ich damals.
»Spricht sie denn kein Englisch ?«, fragte ich laut.
Abdi sah mich finster an. »Natürlich. Sie will nur wissen, warum du so böse bist.«
Das brachte mich aus dem Gleichgewicht und beinahe hätte ich gelogen. Natürlich bin ich
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