Schöne Khadija
auf.
»Ich verstehe das nicht«, sagte ich. »Worum geht es da?«
»Schicke Kleider«, erklärte Abdi und verzog das Gesicht. »Für ganz reiche Leute.«
Mir war nicht klar, was der Nebel und die Musik mit Kleidern zu tun haben sollten. Doch bevor ich Abdi fragen konnte, woher er das wusste, sah er sich wieder die Suchergebnisse an und klickte weiter. Und weiter. Und weiter. Er ließ mir keine Zeit, zu sehen, was er tat, bis er plötzlich scharf ausatmete und sich zurücklehnte.
Auf dem Bildschirm war ihr Bild. Die Frau von der Straße, mit ihrem blassen, schmalen Gesicht und dem Fisch unter ihrem Auge.
»Das ist irre«, sagte Abdi leise. »Sie ist … berühmt. Sieh mal.« Er scrollte die Seite herunter und zeigte auf weitere Namen. Stella McCartney. Miuccia Prada. Vivienne Westwood. Diese Namen kannte ich auch nicht, aber an seiner Stimme erkannte ich, dass die Leute sehr wichtig sein mussten. Sie waren Topmodedesigner. Und Sandy Dexter gehörte dazu.
Danach fanden wir ein paar Seiten, auf denen ihre Mode verkauft wurde.
Ich hatte immer gewusst, dass es sehr reiche Menschen auf der Welt gibt, aber zu sehen, wie sie ihr Geld ausgeben, machte mich ganz schwach. Diese Frau mit ihren gegelten Haaren und dem Fischtattoo entwarf Mode für mehr Geld, als ich mir vorstellen konnte. Und sie wollte, dass ich für sie arbeitete.
Dann könnte ich meine ganze Familie aus Somalia holen, dachte ich und mein Herz tat plötzlich einen Sprung.
Abdi klickte wieder auf das Bild von Sandys Gesicht. Dann drehte er sich auf dem Stuhl um. »Was sollen wir tun?«, murmelte er.
Ich konnte kaum atmen, aber mir war die Antwort schon klar. Egal was für eine Arbeit mir Sandy Dexter anbieten wollte, ich würde sie annehmen. Wie konnte ich eine so großartige Gelegenheit ausschlagen?
»Maamo wird das nicht gefallen«, vermutete Abdi. »Du weißt ja, wie wütend sie wegen deines Jobs im Laden schon war. Und dabei lässt dich Tante Safia nicht vor Fremden auf und ab stolzieren und deine Beine zeigen.«
Warum suchte er nur nach Problemen? »Vielleicht muss ich ja gar nicht meine Beine zeigen«, wandte ich ein. »Und wenn du meinst, dass sich Maamo aufregt, sollten wir vielleicht erst etwas mehr über den Job herausfinden, bevor wir ihr davon erzählen. Sandy hat doch gesagt, wir sollten es geheim halten, oder?«
Würde Abdi das tun? Konnte ich ihm vertrauen? Ich versuchte in seinem Gesicht zu lesen, wie er sich entscheiden würde, und es kam mir ziemlich lange vor, bis er mich ansah.
»Ich denke … es ist vernünftig, das erst herauszufinden. Lass uns heute Abend darüber reden, ja? Ich komme von Ragehs Party und bringe dich vom Laden nach Hause.«
Sie entschlossen sich, es zu versuchen.
Ich glaube nicht, dass ich mich das getraut hätte. Sie hatten nicht die blasseste Ahnung von Mode und mussten sich das Fahrgeld zusammensparen. Aber eine Woche später schwänzten sie die Schule, fuhren durch ganz London und betraten das Büro von Fox um zehn Uhr vormittags.
Ich weiß nicht, was sie erwartet hatten. Vielleicht ein riesiges Atrium voller Pflanzen und Sofas oder eine Festung aus Stahl und Glas mit einem Zweimetermann in Uniform an der Tür. Aber auf solche Showeffekte gibt Merry nichts. Nur ein paar schicke kleine Büros im fünfzehnten Stock und die tüchtigste Rezeptionistin Europas.
Beth ist dafür da, mit allem und jedem fertigzuwerden, von hoffnungsvollen Sechzehnjährigen, die sich an ihre Portfolios klammern, bis zu abgewrackten Supermodels, die vergessen haben, wie man isst. Sie alle kommen in ihr Büro und wollen Meredith Fox sehen. Persönlich. Sofort. Beth muss Merry vor den Banalitäten schützen und dabei alle glücklich machen – ohne dabei die nächste heiße Braut zu verpassen (was in einem Geschäft, in dem die nächste heiße Braut grundsätzlich aus dem Nichts auftaucht, ziemlich schwierig ist).
Beth macht das seit zwölf Jahren und sie ist nicht leicht zu beeindrucken. Aber selbst sie staunte, als Abdi und Khadija in ihren Schuluniformen hereinkamen …Ich war natürlich nicht dabei und es gab auch keinen Grund, dass ich da mit hineingezogen werden sollte. Aber Meredith Fox ist meine Patentante und sie ist total zielstrebig. Und so kam es, dass ich mitten in einer langweiligen Geschichtsstunde spürte, wie mein Telefon vibrierte.
Die Nachricht war kurz und knapp. Typisch Merry.
Wo versteckt sich Sandy???
Ich konnte nicht riskieren, ihr während der Stunde zu antworten. Miss Campbell befindet sich auf
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