Schöne Khadija
anderen Leuten sprechen. Sie würde jedermanns Rat einholen, bevor sie sich entschied.
Aber das würde ich ihr nicht sagen, denn das würde wahrscheinlich alles ruinieren.
Sandy redete bereits weiter. »Ich glaube, ihr solltet lieber nicht zum Atelier kommen. Wir treffen uns an einem neutralen Ort. Ich schicke dir eine Adresse per S M S, O.K .?«
»O. K .«, antwortete ich. »Wir werden um vier Uhr da sein.«
»Gut«, sagte Sandy und legte auf, ohne sich auch nur zu verabschieden.
Einen Moment lang waren wir sprachlos. Khadija und ich sahen uns an und ich wusste, dass wir dasselbe dachten. Was sollen wir jetzt tun?
Doch bevor wir darüber reden konnten, klingelte das Telefon erneut. Ich kannte die Nummer nicht, daher dachte ich, dass Sandy zurückrief, und antwortete sofort.
»Ja, hallo?«
Es war nicht Sandy. Und es gab keine Begrüßung. Nur eine raue, tiefe Stimme, die sehr schnell auf Somali sprach.
»Dies ist eine Nachricht für das Mädchen, das ihr Khadija Ahmed Mussa nennt. Sag ihr, wir haben ihren Bruder Mahmoud. Der Preis für sein Leben beträgt zehntausend Dollar.«
Zuerst konnte ich gar nichts sagen. Mein Gehirn bemühte sich, die Worte zu verstehen.
»Hast du gehört?«, fragte die Stimme. »Der Preis ist zehntausend Dollar.«
Im Hintergrund hörte man Geräusche. Vielleicht ein Radio. Und ich hörte andere Männer, die sich irgendwo in der Nähe unterhielten.
»Khadija hat … sie hat kein Geld«, brachte ich erstickt hervor. »Sie ist nur eine Schülerin.«
Der Mann am anderen Ende lachte verächtlich und seine Stimme verschwamm, als er sich umwandte, um meine Worte für die anderen zu wiederholen. Ich hörte, wie sie sich über viertausend Meilen hinweg über mich lustig machten.
Khadija sagte auch etwas, fragte etwas, aber das konnte ich im Moment nicht brauchen. Ich legte eine Hand über mein Ohr, versuchte, sie auszublenden, und redete hektisch ins Telefon. Ich wusste, dass sie mir nicht zuhören würden, aber ich musste es versuchen.
»Hören Sie, Khadija geht mit mir zur Schule. Und abends arbeitet sie in einem Laden, für etwa …« Ich rechnete schnell nach. »… fünfzig Dollar die Woche. Das ist alles, was sie hat. Wie sollte sie …«
Die raue Stimme unterbrach mich und wischte alles, was ich gesagt hatte, mit zwei Worten beiseite. »Sandy Dexter!«
Der Somali-Akzent war so stark, dass ich es zuerst gar nicht verstand. Doch dann krampfte sich mein Magen so zusammen, dass ich mich fast übergeben hätte. Plötzlich erkannte ich, wie ernst die Lage war.
Der Mann sprach jetzt schnell und rief mir Befehle zu. »In zehn Minuten rufe ich diese Nummer wieder an. Und ich will Khadija sprechen, verstanden? Sorg dafür, dass sie da ist, wenn ich anrufe.«
Zehn Minuten. Wir hatten zehn Minuten Zeit zum Überlegen.
»Ich sorge dafür«, versprach ich.
»Gut.« Das Telefon in meiner Hand verstummte und ich lehnte mich an die Wand, weil ich mich nicht mehr aufrecht halten konnte. Aber wir hatten keine Zeit, herumzusitzen. Wir hatten nur zehn Minuten.
Abdi sah schrecklich aus. Ich hatte das Gefühl, als würde er gleich in Ohnmacht fallen.
»Setz dich«, sagte ich schnell. »Ich gehe dir etwas Wasser holen.«
»Nein!«, rief er. »Geh nicht!«
Doch ich war schon halb aus der Tür. Ich hatte keine Ahnung, wer da eben angerufen hatte, aber was Abdi auch gehört hatte, es konnte ein paar Minuten warten. Er brauchte Wasser – sofort.
Am Wasserbehälter der Kantine stand eine lange Schlange. Ich wartete eine Weile und füllte dann einen Pappbecher im Waschraum. Als ich zurückkam, saß Abdi auf einem der Tische und sprang schnell auf.
»Hör zu, Khadija …«
»Trink erst einmal etwas«, befahl ich und hielt ihm den Becher an den Mund, sodass er trinken musste. Er nahm ein paar Schlucke und schob dann den Becher fort.
»Hör zu«, begann er wieder. »Dieser Anruf … er kam aus Somalia. Dein …« Ihm fehlten die Worte. Was auch immer er mir sagen wollte, er suchte nach einem Weg, es mir zu erzählen.
Und bevor er ihn gefunden hatte, klingelte das Telefon erneut.
Ich sah, dass seine Hände zitterten, als er das Telefon nahm. »Ja«, hörte ich ihn sagen. »Ja, sie ist hier.« Er hielt mir das Telefon hin. Ohne Erklärung stieß er es mir vors Ohr.
Und die Stimme am anderen Ende sagte meinen wahren Namen.
Es war, als würde mich jemand packen und um 180 Grad herumdrehen. Ein eisiger Schreck durchfuhr mich.
»Wer sind Sie?«, fragte ich. Automatisch sprach ich Somali.
»Ich
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