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Schöne Khadija

Schöne Khadija

Titel: Schöne Khadija Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Cross , Tanja Ohlsen
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»damit du verstehst, wie das war.«
    Er sagte nicht, um was für Fotos es sich handelte. Das musste er auch nicht. Ich kniete mich an den Tisch und er drehte eines nach dem anderen um.
    Jeder hat solche Bilder schon gesehen, Bilder von Hunger, Gewalt und Tod. Sie sind immer schlimm. Immer schrecklich. Aber diese hier waren noch schlimmer, weil Dad die Leute kannte. Wenn er ein Bild umdrehte, erzählte er mir in ein paar dürren Worten davon.
    »Das kleine Mädchen wurde von ihrem Vater zwanzig Meilen durch die Wüste zu einem Lager getragen. Aber sie war zu schwach, um zu essen. Sie starb am nächsten Tag … Dieser Mann hat sich ein fast ein Jahr lang mit nur einem Bein durchgeschlagen. Aber auch noch das zweite zu verlieren hat ihm den Rest gegeben … Und das ist der Junge, der ihn erschossen hat. Sein Gewehr war älter als er …«
    Dad kannte sie alle. Ihre Geschichten, ihre Verletzungen, manchmal sogar ihre Namen. Er erzählte mir von ihnen. Tonlos, emotionslos drehte er ein Bild nach dem anderen um. Eines nach dem anderen.
    Er zeigte mir, was er vor Augen hatte, jedes Mal, wenn Sandy von Somalia sprach. Bilder, die man niemals vergisst.
     
    Auch ich konnte sie nicht vergessen. In dieser Nacht fanden sie den Weg in meine Träume und nahmen mit einer schrecklichen Wendung die Gesichter von Menschen an, die ich kannte und liebte. Und immerzu konnte ich Dads erbarmungslose Kommentare hören.
    Merry trat auf eine Landmine. Eine halbe Stunde nachdem ich das Bild aufgenommen habe, starb sie an Wundbrand … Das war Ben. Er ist hundert Meilen zur Lebensmittelausgabe gelaufen, doch als er dort ankam, war er zu schwach,um zu essen. Ich sah ihn sterben … Sandy wurde in der Wüste zurückgelassen …
    Im Traum schrie ich ihn an, still zu sein. Und als ich aufwachte  – endlich –, stand mein Mund stumm schreiend offen. Mach, dass es aufhört! Mach, dass es aufhört! Es war drei Uhr morgens, aber ich wusste, dass ich nicht mehr schlafen konnte.
    Sobald ich mich bewegen konnte, stand ich auf und zog meinen Morgenmantel an. Mein Mund war ganz trocken und ich tastete mich in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Den Becher in beiden Händen ging ich langsam durch den Flur ins Wohnzimmer. Weil die Wohnung so hoch oben liegt, hat Dad keine Vorhänge und es war hell genug, um die Fotos zu sehen, die immer noch auf dem Couchtisch lagen.
    Sie zogen mich an.
    Kennt ihr das kranke Gefühl, wenn etwas so schrecklich ist, dass man es sich unbedingt noch einmal ansehen muss? Meistens ist es beim zweiten Mal nicht mehr so schrecklich, weil das Gedächtnis übertreibt. Und wenn nicht? Nun, der menschliche Geist kann sich an alle möglichen Schrecken gewöhnen, nicht wahr? Das ist ein Überlebensmechanismus.
    Aber in dieser Nacht funktionierte er nicht.
    Beim zweiten Mal waren die Bilder fast noch schrecklicher. Wegen meines Traums. Würde in sechs Monaten jemand auf andere Fotos zeigen und sagen: Das war Sandy … ?
    Mit dem Becher in der Hand betrachtete ich die Gesichter und begann zu weinen.
     
    Es war fast Morgen, als mich mein Vater fand. Ich bemerkte ihn nicht einmal, bis er sich neben den Sessel setzte und mir den Arm um die Schultern legte.
    »Es tut mir leid. Ich wollte dir keine Albträume verschaffen. Ich wollte nur, dass du weißt, warum ich mir solche Sorgen mache. Aber Sandy hat recht. Diese Bilder wurden vor fünfzehn Jahren gemacht.«
    Ich starrte nur nach unten. »Und ist es seitdem besser geworden?«
    Dad zögerte. Ich sah, dass er gerne eine beruhigende Lüge erzählt hätte, aber das tat er nicht. »Das weiß ich einfach nicht«, gab er schließlich zu. »Nicht, ohne dort gewesen zu sein.« Er zog mich auf die Füße. »Komm, Freya. Wenn du jetzt ins Bett gehst, kannst du noch zwei Stunden schlafen. Du bist zu müde, um dich jetzt mit so etwas zu befassen.«
    »Diese Menschen müssen sich damit befassen. Egal wie müde sie sind.«
    »Du wirst ihnen nicht helfen, wenn du in der Schule einschläfst. Komm.« Er legte mir den Arm um die Schultern und brachte mich wieder in mein Zimmer.
    Ich hielt immer noch meinen Becher fest und trank ihn in einem Zug leer, bevor ich wieder ins Bett stieg. Dann legte ich mich hin.
    »Man kann ja nie wissen«, meinte Dad sanft, während er mich zudeckte, »vielleicht bringt Sandy ja tatsächlich ein paar Leute zum Nachdenken. Und das ist immer eine gute Sache. Und jetzt schlaf …«

A ls Mahmoud um Wasser bat, lachte einer der Männer nur und befahl ihm, still zu sein.
    Sie

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