Schöne Khadija
ärgerten. Aber es kam mir ziemlich weit entfernt vor, fast wie in einer anderen Welt.
Eines Tages konnte es der arme Ehemann nicht mehr länger ertragen. Er rief seine Frauen zusammen und sagte: »Nun gut, ich werde euch euren Wunsch erfüllen. Ich werde meiner Lieblingsfrau sagen, dass ich sie am meisten liebe.« Aber vorher …
Ich hielt den Atem an und wartete auf den nächsten Satz der Geschichte. Doch bevor Nhur weitererzählen konnte, übertönte ein lauter Knall den Lärm draußen und brachte alles andere zum Schweigen.
Ein Gewehrschuss.
Im nächsten Augenblick hörten wir, wie ein Jeep ratternd und dröhnend ins Dorf kam. Und jetzt redeten andere Stimmen, laut und aggressiv.
Nhur und Khadija sprangen gleichzeitig auf. Ich brauchte ein paar Sekunden länger, weil ich mich mit den Beinen in dem langen Kleid verhedderte. Als ich an der Tür war, standen die beiden schon draußen und sahen um die Ecke des Gebäudes.
Ich lief zu ihnen und hätte mich wohl noch weiter vorgewagt, doch Nhur hielt mich am Arm zurück und flüsterte: »Nein! Nein!«
Der Jeep war auf dem offenen Platz vor uns stehen geblieben und die Männer darin schrien etwas, halb auf Englisch und halb auf Somali. Ich verstand kaum etwas, doch ein Satz war sehr deutlich hörbar.
»… zehntausend Dollar …«
Sie mussten es drei- oder viermal gesagt haben und stießen die Worte trotzig hervor. Dann röhrte der Motor auf und der Jeep raste davon. Wir sahen, wie das Auto in einer Staubwolke verschwand.
Alle waren wie betäubt und erstarrt – bis auf Tony Morales. Sobald die Männer abfuhren, sprang er aus der Menge und fotografierte alles, was ihm vor die Kamera kam. Auch den Jeep, der im Staub verschwand, und die schockierten Gesichter der Mädchen aus England.
Und das Foto auf der Erde, das die Männer aus dem Jeep geworfen hatten.
Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass niemand wirklich erschossen worden war. Khadija lief zwischen den Leuten hindurch und hob das Foto auf. Sie erreichte es einen halben Schritt vor Sandy und nahm es in beide Hände.
»Was soll das?«, fragte Sandy. »Was wollen diese Männer?«
»Das ist doch ziemlich offensichtlich, nicht wahr?« Das war natürlich Tony Morales, der wie üblich seine Nase mithineinstecken musste. »Sie wollen zehntausend Dollar. Es ist eine Erpressung.«
Jetzt kamen alle näher, um zu sehen, was die Männer dagelassen hatten. Ich quetschte mich zwischen Zoë und Suliman hindurch, bis ich neben Khadija stand. Ihre Hände, die das Foto hielten, zitterten.
Sobald ich es sah, wusste ich, dass Tony Morales mit der Erpressung recht hatte. Der Junge auf dem Foto hielt eine Zeitung vom heutigen Tag in der Hand, auf diese typische, klischeehafte Weise, um zu zeigen, dass er noch lebte. Oder zumindest vor ein paar Stunden noch gelebt hatte.
Er war vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt und sah mit einem trotzigen, falschen Lächeln in die Kamera. Es war ein sehr verängstigter Junge, der versuchte, tapfer zu sein. Es war schrecklich. Herzzerreißend.
»Wer ist das?«, fragte Sandy scharf. »Wie kommen sie auf die Idee, dass wir zehntausend Dollar für einen völlig Fremden zahlen würden?«
Ich dachte schon, dass Khadija etwas sagen wollte, aber bevor sieden Mund aufmachen konnte, sah ihr Suliman über die Schulter und seufzte überlaut.
»Dieser Junge ist kein Fremder für mich«, sagte er. »Er ist einer meiner Verwandten.«
»Und diese Leute glauben, dass Sie zehntausend Dollar für ihn zahlen werden?«
Suliman sah achselzuckend zu Boden. »Sie wissen, dass ich keine zehntausend Dollar habe. Aber vielleicht meinen sie, dass Sie …?«
Er hielt inne, sah sie an und ließ die Frage in der Luft hängen.
A ls die Männer im Jeep zurückkamen, hatten sie den Mund voll Qat und johlten und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Mahmoud hörte den Lärm in dem kleinen Raum, in dem er mit Sanyare saß.
»Sie freuen sich«, meinte Sanyare trocken. »Scheint ein guter Tag gewesen zu sein.«
Es war bereits dunkel. Als Sanyare die Tür öffnete, leuchteten die Scheinwerfer des Jeeps direkt herein bis in das Hauptzimmer des Hauses. Mahmoud stand auf und hielt sich einen Arm vor die Augen.
Als ihn die Männer sahen, johlten sie noch lauter. » O . K ., Mahmoud!«, rief Rashid. »Bist du bereit, uns reich zu machen?«
Irgendetwas war geschehen. Sie benahmen sich, als ob sie das Geld bereits riechen konnten, als ob es schon fast in ihrer Hand war. Und auch wenn er
Weitere Kostenlose Bücher