Schöne Lügen: Roman (German Edition)
Gesicht.
»Bitte, nenn mich doch Erin.«
»Bist du wirklich Kens Schwester?« fragte die Kindfrau voller Hoffnung.
»Das kann ich so sicher behaupten, wie es den gegebenen Umständen nach möglich ist«, anwortete Erin.
»Du siehst ihm sehr ähnlich.« Melanie betrachtete Erin eingehender.
»Wirklich?« Die neue Schwägerin lachte erfreut auf. »Hast du Bilder von ihm?«
»Aber sicher. Eine ganze Menge.« Melanie sprang von der Couch, die Tränen waren für den Augenblick versiegt, sie öffnete eine Schublade im Schrank. Es war der gleiche
Schrank, gegen den Lance Barrett sich so lässig gelehnt hatte, dachte Erin unpassenderweise und haßte sich selbst dafür, daß sie sogar in einem Augenblick wie diesem an ihn denken mußte.
»Hier sind unsere Hochzeitsbilder«, sagte Melanie.
»Wie lange seid ihr denn schon verheiratet?« Hatte sie nicht Lance die gleiche Frage gestellt? Er hatte ihr eine ausweichende Antwort gegeben.
»Vier Jahre«, antwortete Melanie und ließ sich neben Erin auf die Couch fallen. Sie öffnete ein großes weißes Album. »Das ist Ken.«
Langsam nahm Erin Melanie das Photoalbum aus der Hand und hob es hoch. Sie war schrecklich nervös, als sie den lächelnden Mann auf dem Bild ins Auge faßte.
Sein Bild verschwamm vor ihren Augen, die feucht wurden, mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte sie sich darüber, um besser zu sehen. Er war groß, ragte über seiner Braut auf, die voller Anbetung hochblickte. Sein Haar war genauso dunkel wie das von Erin, doch hatte es natürlich nicht ihre leichte Dauerwelle, sondern er trug es straff aus dem Gesicht gekämmt. Seine Züge waren unmißverständlich ein Familienerbe. Die Brauen wölbten sich über tiefdunklen Augen wie bei seiner Schwester. Sein Mund war weniger voll, die Lippen schmaler, doch die Ähnlichkeit zwischen ihnen verblüffte.
»Er sieht sehr gut aus, nicht wahr?« fragte Erin mit rauher Stimme. Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals.
»Ja«, stimmte Melanie zu. »Ich habe mich in ihn verliebt, als ich ihn zum erstenmal sah. Ich kam in die Bank, und er stand hinter einem der Schalter. Ich fragte Daddy, wer der
neue Angestellte war, doch er kannte seinen Namen nicht. Ich habe mich bemüht, es herauszufinden!«
»Dein Vater arbeitet in der gleichen Bank wie Ken?«
»Er ist der Präsident und Vorsitzender des Aufsichtsrates«, erklärte Melanie abwesend und blätterte dabei in dem Photoalbum.
Erin versuchte, diese Neuigkeit zu verdauen, während sie nur nickte, als Melanie ihr andere Bilder von Ken zeigte. Sie würde sie sich genauer ansehen, wenn sie später allein war. Irgend etwas störte sie daran, daß Melanies Vater ein so hohes Tier in der Bank war, in der ihr Bruder arbeitete. Ob es Ken wohl auch gestört hatte? Konnte das vielleicht sogar der Grund dafür sein, daß er das viele Geld unterschlagen hatte?
»Entschuldige, daß ich so neugierig bin, Melanie, aber ich möchte so viel wie möglich über Ken erfahren. Du bist einige Jahre jünger als er, nicht wahr?«
»Ja«, gab Melanie zu und senkte den Blick. »Er ist zehn Jahre älter, ich war erst zwanzig, als wir heirateten. Meine Mutter und mein Daddy bekamen einen Anfall, als ich ihnen von unseren Hochzeitsplänen berichtete. Wir hatten uns bis dahin immer nur heimlich getroffen. Ich glaube, ich habe die ganze Zeit über gewußt, daß sie nicht gerade glücklich darüber sein würden, wenn ich mit Ken ausging. Sie wollten, daß ich mit den Söhnen ihrer Freunde ausging, die jeden Tag im Country Club Tennis oder Golf spielen und an den Wochenenden zum Segeln fahren. Aber die haben mich alle überhaupt nicht interessiert. Ich habe mich in Ken verliebt, als er mich zum ersten Mal geküßt hat und mich dann für diesen Kuß um Entschuldigung bat.« Ihre braunen Augen
blitzten, als sie weitersprach. »Ich habe ihm versichert, daß ich gar nichts dagegen hatte.«
Aber deine Eltern hatten etwas dagegen, dachte Erin.
Es klopfte leise an der Tür, dann öffnete sie sich, und Lance kam herein. »Was möchten die Damen zum Essen haben? Ich würde etwas beim Chinesen holen, wenn Sie einverstanden sind.«
Erin konnte so viel Gefühllosigkeit nicht begreifen. Er tat so, als sei diese bizarre Situation ein Familienpicknick.
»Chinesisches Essen klingt großartig«, freute sich Melanie. »Magst du das auch, Erin? Wenn nicht, können wir ja etwas anderes bestellen.«
»Ich dachte, Gefangenen verabreicht man nichts als Wasser und Brot«, wandte Erin sich direkt an Mr.
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