Schöne Lügen: Roman (German Edition)
Barrett.
Er sah sie einen Augenblick lang mit diesen eisigen blauen Augen an, ehe er brummte: »Nur aufsässige Gefangene bekommen das.« Mit Wucht fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.
»Brutaler Zeitgenosse«, beschwerte Erin sich.
»Mr. Barrett?« fragte Melanie erstaunt. »Aber er ist einer der nettesten Männer, die ich je kennengelernt habe. Bis auf Ken natürlich.«
Erin sah sie erschrocken an. »Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Er hat praktisch die Kontrolle über dein Haus und dein Leben übernommen, kommandiert herum wie ein General und erwartet, daß jeder vor ihm in die Knie geht. In unzulässigster Weise hat er sich in deine Privatsphäre gedrängt.«
»Aber er erledigt doch nur seinen Job, Erin«, widersprach Melanie. »Ken befindet sich in großen Schwierigkeiten, mußt du wissen. Als Mr. Barrett hierherkam, hat er sich für
seine Aufdringlichkeit entschuldigt. Während der langen Stunden, in denen er mich verhört hat, hat er sich als der perfekte Gentleman erwiesen; er hat mich immer wieder beruhigt, wenn ich Angst hatte und wenn ich voller Kummer war über Ken und über seine Machenschaften. Er hat mich dazu bewogen, mich an Dinge zu erinnern, an die ich sonst niemals gedacht hätte, Dinge, die ihm vielleicht helfen könnten, Ken zu finden. Ich würde alles tun, um ihm zu helfen. Ich möchte, daß er Ken findet und ihn nach Hause bringt, damit er in Sicherheit ist.«
Erin hatte Mitleid mit der jungen Frau, sie stimmte ihr sogar zu in der Hoffnung, daß man den Vermißten bald finden würde. Doch sie wunderte sich, daß Melanie Lance Barrett in den höchsten Tönen lobte. Worte wie ›Gentleman‹ und ›entschuldigen‹ paßten nicht zu der Art, wie dieser Mann sie behandelt hatte.
Warum verdächtigte er die Schwester des Täters, wenn er offensichtlich glaubte, daß Kens Frau kein Teil dieser Verschwörung war? Seit Erins Ankunft hier hatte er sie mit Worten und Taten attackiert. Was hatte sie nur verbrochen, daß er sie einer so groben Behandlung unterzog?
Melanie bestand darauf, daß trotz allem Erins Besuch in ihrem Haus eine Feier wert war. Sie rang Mike die Erlaubnis für Erin ab, den Arbeitsraum zu verlassen und ihr im Eßzimmer zu helfen. Sie stellte ihre beste Tischdecke, das beste Porzellan und Kristallgläser zur Verfügung, dann deckte sie den Tisch wie für eine Dinnerparty.
Ihre Bemühungen waren rührend und auch irgendwie bemitleidenswert. Sie schien viel jünger zu sein als ihre vierundzwanzig
Jahre. Und obwohl sie darüber sprach, wie ernst Kens Diebstahl war, so zweifelte Erin doch daran, daß Melanie das Ausmaß dieses Delikts zu erkennen vermochte. In allem, was sie sagte und tat, zeigte sich Naivität und blindes Vertrauen.
Sie lachten gerade alle drei darüber, daß eine widerspenstige Serviette mit dem besten Willen nicht so auf dem Teller stehen wollte, wie Melanie es gern hätte, als Lance hereinplatzte.
Mit mißbilligend gerunzelter Stirn fiel sein Blick auf Erin. Und er ließ auch gar keine Frage aufkommen über den Grund seiner Verärgerung. Sie war nicht in dem Raum, den er ihr zugewiesen hatte, also fuhr er gleich Mike an.
»Äh … ich … sie … das heißt, Mrs. Lyman dachte …«, stotterte Mike, ehe Lance ihn unterbrach. »Wir wollen essen, ehe es kalt wird.«
Mike seufzte erleichtert auf und warf Erin einen Blick zu, als wolle er sie für seinen Ungehorsam verantwortlich machen. Schnell nahm er Lance einige der Kartons ab, in denen das Essen verpackt war. Die Pappe paßte so gar nicht zu der hübschen Leinentischdecke und dem glitzernden Kristall der Gläser, doch das schien niemand zu bemerken, als alle Platz nahmen.
Erin sah verwundert auf, als Lance Melanie den Stuhl zurechtrückte. Er war überaus höflich ihr gegenüber, und seine Augen bekamen einen ganz sanften Blick, wann immer er sie ansah. Erin ließ sich von Mike den Stuhl zurechtrücken. Sie lächelte ihn an. »Danke«, sagte sie, und dabei entgingen ihr die Warnsignale, die Mike von seinem Vorgesetzten bekam.
Melanie erklärte Lance den Grund, warum sie ihr bestes
Porzellan hervorgeholt und den Tisch im Eßzimmer gedeckt hatte. »Man findet nicht jeden Tag heraus, daß man eine hübsche, bezaubernde Schwägerin hat. Wenn Ken hier wäre«, ihre Stimme zitterte ein wenig, »würde er bestimmt diese Überraschung auch feiern wollen.«
»Hat Ihr Mann je davon gesprochen, daß er eine Schwester hatte, von der er getrennt wurde?« fragte Lance sanft. Der Ton seiner Stimme
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