Schöne Lügen: Roman (German Edition)
bezauberte sie mit seinem gutgelaunten, ein wenig schüchternen Benehmen eines Jungen vom Lande. Doch unter dem Kopf mit dem lockigen Haar operierte ein scharfer Verstand, der jedes Opfer irreführen und hinters Licht führen konnte, ehe derjenige überhaupt Unrat witterte.
Von Bart Stanton umworben zu werden, war kein kleiner Erfolg, und Erin wurde um dieses Privileg glühend beneidet.
Wenn sie mit ihm zusammen erschien, behandelte man sie wie eine Königin, und das hatte ihr anfangs Spaß gemacht. Doch dann ahnte sie, daß sich Barts Gefühle entwickelten zu etwas, das mehr war als nur Zuneigung, und sie konnte sein Drängen nicht erwidern. Sosehr sie ihn auch mochte und sich in seiner Gesellschaft wohl fühlte, Liebe war es nicht.
»Ich werde den Ring tragen, Bart. Aber verstehe bitte, daß es für mich keine bindende Verpflichtung bedeutet. Ich möchte in naher Zukunft nicht heiraten. Und es soll auch nicht bedeuten, daß ich meine Meinung ändern werde, über … über …«
»Darüber, mit mir zu schlafen?« fragte er mit einer Stimme, in die er all seine Zärtlichkeit legte.
Sie sah ihm direkt in die Augen. »Ja.«
»Verflixt, du bist die störrischste Frau, die ich je kennengelernt habe«, stöhnte er und lachte gleich darauf leise. »Vielleicht ist ja gerade das der Grund dafür, daß ich dich so sehr liebe, Baby.« Er hatte sie fest in seine Arme geschlossen und ihre Verlobung mit einem Kuß besiegelt.
Eigenartigerweise hatte er sie hinfort nicht mehr darum gebeten, mit ihm zu schlafen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren seine Bitten ein ständiger Grund zur Zwietracht zwischen ihnen gewesen.
»Es ist ja nicht so, als wärst du noch eine Jungfrau«, hatte er damals geschimpft, als sie zum erstenmal seine Einladung abgeschlagen hatte, über Nacht in seinem riesigen Haus in Houston zu bleiben. »Um Himmels willen, du warst doch schließlich schon einmal verheiratet.«
Sie war unerbittlich geblieben damals, und das bis heute.
Offensichtlich sah er sie dennoch als seinen Besitz an, seit sie seinen Ring trug, und hatte zwischenzeitlich einen anderen Ausweg für seine sexuellen Nöte gefunden. Eigenartigerweise war Erin dieser anonymen Frau – oder diesen anonymen Frauen – dankbar, die Bart das gaben, was sie ihm nicht geben konnte.
Die späte Nachmittagssonne San Franciscos ließ die Facetten des Diamanten in allen Regenbogenfarben aufleuchten, als Erin den Ring an ihrem Finger drehte. Ihr Entschluß stand nun fest: Sobald sie nach Houston zurückgekehrt war, würde sie Bart die Wahrheit sagen. Sie hatte sich schon viel zu lange damit entschuldigt, zunächst einmal ihren Bruder wiederzufinden. Er würde wahrscheinlich von ihr erwarten, daß sie Hochzeitspläne schmiedete, jetzt, wo sie ihn gefunden hatte. Wenn sie je zuvor Zweifel an ihrer Entscheidung gehegt hatte, so wußte Erin seit Lance Barretts Kuß ganz deutlich, daß sie Bart Stanton niemals heiraten würde.
Ihre Träumerei wurde unterbrochen, als sich die Tür öffnete und Melanie ihre blonde Mähne durch den Türspalt steckte.
»Miss O’Shea?« fragte sie schüchtern. »Mr. Barrett hat mir gesagt, daß Sie mich sprechen wollen.«
Erin unterdrückte den plötzlichen Wunsch laut aufzulachen. Sie war im Haus dieser Frau und dennoch bat die Gastgeberin sie förmlich um ihre Erlaubnis, das Zimmer betreten zu dürfen.
Sie ging mit ein paar schnellen Schritten zur Tür und reichte ihrer Schwägerin die Hände: »Melanie!«
Die junge Frau ergriff sie, und die beiden starrten einander lange schweigend an, musterten sich gegenseitig; dann
schien es plötzlich ganz natürlich, daß sie sich schwesterlich umarmten.
Erins Herz tat weh, als sie fühlte, daß Melanies zierlicher Körper von Schluchzen geschüttelt wurde. Es störte sie nicht, daß Melanies Tränen Flecken auf ihrer seidenen Bluse hinterlassen würden. Sie strich Melanie über ihr langes glattes Haar und versuchte sie zu trösten, versicherte ihr, daß alles wieder gut werden würde.
Als Melanies Schmerz sich ein wenig gelegt hatte, standen auch in Erins Augen Tränen. »Wir sind wirklich dumm, nicht wahr?« meinte sie und versuchte zu lächeln. »Komm, setzen wir uns und machen uns erst einmal miteinander bekannt.«
»Es tut mir so leid, Miss O’Shea«, schniefte Melanie. »Ich mußte das ganz einfach tun, seit Ken … nun ja, seit er … seit er das angestellt hat. Ich kann es einfach nicht begreifen.« Sie schüttelte traurig den Kopf und blickte hilfesuchend Erin ins
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