Schöne Lügen: Roman (German Edition)
fragte er.
»Drei Stück.«
»Drei?«
Sie lachte über sein erstauntes Gesicht. »Ja, ich lebe im Haus meiner Eltern, in dem Haus, in dem ich auch aufgewachsen bin. Als mein Dad starb, wollte Mutter das Haus verkaufen. Ich habe sie gebeten, es für einige Zeit zu vermieten, und das hat sie dann auch ein paar Jahre lang getan. Als ich New York verließ und nach Hause zurückkehrte, bin ich dort eingezogen. Es ist ein bescheidenes Haus, aber sehr alt und besitzt einen eigenwilligen Charakter. Ich habe es renoviert und neu eingerichtet.«
»Das hört sich gut an.«
»Die meisten Menschen würden es nicht einmal ansehen wollen, aber für mich ist es mein Zuhause. Ich denke, wenn man adoptiert wurde, ist es sehr wichtig, so eine Familientradition aufrechtzuerhalten. Das ist ein beinahe genauso wichtiger Teil, wie die Suche nach seiner Identität.«
Sie schwiegen beide eine Weile, bis Lance fragte: »Waren die O’Sheas gut zu Ihnen?«
»Sie waren wunderbare Eltern. Niemand hätte sich bessere Eltern wünschen können. Dad war groß und sehr kräftig. Er kam mir immer riesig vor, selbst, als ich schon erwachsen war. Er war der freundlichste Mann, den ich je gekannt habe, trotz seiner Größe. Er war Schreiner. Mutter ist klein und zierlich, voller Leben und hat viele Lachfältchen um ihre Augen, die so blau sind, wie Sie sicher noch nie welche gesehen haben.« Außer den deinen, fügte sie innerlich hinzu.
Lance streckte die Arme über den Kopf und gähnte ausgiebig, dann fuhr er sich mit beiden Händen durch sein goldbraunes Haar. »Jetzt schlafen sie mal. Gute Nacht«, ordnete er an und knipste das Licht aus.
»Gute Nacht.«
Erin rutschte unter die Decke, sie lag auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit. Sie hörte, daß Lance es sich in dem Sessel so bequem wie möglich machte. Die Decken und Kissen raschelten, dann breitete sich Ruhe aus.
Nach einer Denkpause flüsterte Erin: »Mr. Barrett?« Sie wußte instinktiv, daß er noch nicht schlief.
»Hm?«
Nervös zupfte sie an der Decke. Die Dunkelheit machte alles ziemlich intim. Es schoß ihr durch den Kopf, sie wären Liebende, nachdem sie miteinander … »Was wird mit meinem Bruder geschehen, wenn Sie ihn gefunden haben?«
Sie hörte in der Dunkelheit, daß er seine Lage in dem Sessel änderte. Seine Stimme war leise, ein wenig zögernd … vielleicht sogar traurig, als er antwortete. »Ich weiß es nicht. Das übersteigt meine Erfahrungen. Er hat eine unerhörte Geldsumme unterschlagen, von einer staatlichen Bank. Der Diebstahl allein würde genügen, um ihn Jahre hinter Gitter zu bringen. Die Regierung sieht es nicht so gern, wenn jemand kommt und ihr das Geld wegnimmt.«
»Dann muß er also ins Gefängnis«, meinte sie tonlos. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Sie hatte bis jetzt noch gar nicht daran gedacht.
»Ja. Es mag ihm vielleicht ein wenig helfen, daß sein Schwiegervater Präsident der Bank ist. Winslow hat die örtliche Polizei gar nicht benachrichtigt, obwohl wir auch einige ihrer Leute eingesetzt haben, die dafür ausgebildet sind, eine Stecknadel in einem Heuhaufen zu finden, um es bildlich auszudrücken. Wenn Lyman das Geld vielleicht noch nicht ausgegeben hat und es zurückzahlen kann, könnte er mit einer hohen Geldstrafe und einer langen Bewährung davonkommen.«
»Aber das halten Sie selbst nicht für wahrscheinlich, oder?«
Er klang müde und auch ein wenig resigniert, als er antwortete. »Nein. In all den Jahren, in denen ich jetzt diese Arbeit mache, habe ich eigentlich nie die Gedankengänge eines Kriminellen verstanden.«
»Mein Bruder ist kein Krimineller«, begehrte sie auf.
»Er hat ein Verbrechen begangen. Und dem Wortsinn nach macht ihn das zu einem Kriminellen«, erklärte er.
Erin klagte: »Natürlich haben Sie recht. Es tut mir leid. Was sagten Sie gerade?«
»Nun, meiner Ansicht nach standen alle Anzeichen zu seinen Gunsten. Warum hat er so etwas getan? Warum hat er alles aufs Spiel gesetzt? Warum hat er Mrs. Lyman verlassen? Es war wirklich eine dumme, idiotische Sache, so etwas zu tun. Er mußte doch wissen, daß wir ihn erwischen.«
Erin wunderte sich über die Wut in seiner Stimme. Es war beinahe so, als wünschte er Ken nicht zu finden. »Melanie wird schrecklich leiden unter alldem. Ich glaube, sie hat den Ernst dieser Situation überhaupt noch nicht begriffen.«
»Das hat sie auch nicht. Sie ist so eine reizende junge Frau. Eigentlich hätten wir von überall aus unsere Nachforschungen
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