Schöne Lügen: Roman (German Edition)
habe.«
Langsam zog Lance die Hände aus den Hosentaschen, und Erin sah, daß er sie zu Fäusten geballt hatte, sein ganzer Körper drückte Ablehnung aus. Nur sein Gesicht zeigte keine Regung, wie immer. Als er sprach, war Erin überrascht von seinem ruhigen Ton. »Zunächst einmal, Mr. Winslow, haben Sie kein Recht, irgend etwas zu verlangen. Schließlich ist nicht Ihr Geld abhanden gekommen, dieses Geld gehört der Regierung und den Investoren Ihrer Bank. Und zweitens habe ich Ihnen erklärt, daß ich Sie von weiteren Entwicklungen in Kenntnis setzen werde. Doch die hat es nicht gegeben.«
»Warum nicht?« preschte Mrs. Winslow vor. »Es sollte für Sie und Ihre Bande von Grobianen doch nicht allzu schwierig sein, einen einzigen Verbrecher aufzuspüren.«
»Wenn Sie damit Mr. Lyman meinen, dann möchte ich Sie noch einmal darauf hinweisen, daß man ihn bis jetzt noch keines Verbrechens bezichtigen konnte. Wir wissen nur, daß er zur gleichen Zeit verschwunden ist, zu der ein größerer Geldbetrag fehlte. Ich würde meine Worte sorgfältiger wählen, wenn ich Sie wäre, Mrs. Winslow. Sie wissen nie, ob sie Ihnen nicht irgendwann einmal zur Last gelegt werden könnten.«
Erin wäre fast umgefallen, als sie hörte, was Lance sagte. Hatte er ihr nicht erst gestern abend das genaue Gegenteil
davon erklärt? Er verteidigte ihren Bruder vor diesen entsetzlichen Menschen, und sie wäre ihm aus Dankbarkeit dafür am liebsten um den Hals gefallen. Seine Abneigung den Winslows gegenüber war genauso groß wie ihre eigene. Als er sie über die Köpfe der beiden Menschen hinweg ansah, las sie es in seinen Augen.
Seine Stimme blieb ausdruckslos, als er weitersprach. »Wie ich sehe, haben Sie Mr. Lymans Schwester schon kennengelernt.«
Mrs. Winslow schnaufte, doch ihr Mann zeigte sich etwas geschliffener. »Wir sind ihr gerade vorgestellt worden, als Sie hereinkamen«, erläuterte er. »Darf ich das so verstehen, daß Sie eine Blutsverwandte von Ken sind? Wir waren immer der Meinung, er hätte keine Familienangehörigen.« In seiner Bemerkung überwog das Mißtrauen.
Familienabstammung war für diese Leute wahrscheinlich sehr wichtig, dachte Erin. »Ja, Mr. Winslow, ich bin Kens Schwester«, erklärte sie. »Wir wurden von verschiedenen Paaren adoptiert, als wir noch klein waren. Vor einigen Jahren erfuhr ich von seiner Existenz und begann, nach ihm zu suchen. Erst vor ein paar Wochen waren alle Zweifel ausgeräumt, daß Ken Lyman mein Bruder ist. Ich bin gestern eingetroffen, um ihn kennenzulernen.«
Ihre Blicke wanderten unwillkürlich zu Lance, der sie noch immer ansah. Ob die anderen Personen im Raum wohl die Schwingungen fühlen konnten, die zwischen ihnen hin-und hergingen? »Ich war entsetzt, als ich von Mr. Barrett erfuhr, in welchen Schwierigkeiten Ken steckt.«
»Ich kann nicht gerade behaupten, daß ich entsetzt war, als ich von seinem Dieb …« Mrs. Winslow hielt mitten im Satz
inne und blickte ängstlich zu Lance. »Ich war nicht überrascht, daß er so plötzlich verschwand«, verbesserte sie sich dann, obwohl ihre Stimme vor Gift überquoll. »Ich habe ihm noch nie getraut. Seit dem Tag nicht, an dem ich ihn zum ersten Mal gesehen habe.«
»Mutter, bitte, sprich nicht so über Ken. Er ist doch dein Schwiegersohn.« Melanies Stimme zitterte, und ihre Unterlippe zuckte verräterisch. Erin widerstand dem Wunsch, zu ihr zu gehen und sie vor ihren lieblosen Eltern zu schützen.
»Aber das war nicht mein Fehler«, säuselte Melanies Mutter. Ihre Augen zogen sich zusammen, als sie ihre Tochter ansah und ihr dann mit dem beringten Zeigefinger drohte. »Ich habe dir gesagt, du würdest den Tag noch bereuen, an dem du ihn geheiratet hast. Und recht habe ich behalten. Es wird dir bis an dein Lebensende leid tun, ganz gleich, was jetzt noch mit ihm geschehen mag.«
Jetzt ging auch Mr. Winslow auf seine Tochter los. »Es ist ja nicht nur so, daß er viel zu alt für dich ist. Wir wußten überhaupt nichts über seine Herkunft oder Verwandtschaft. Ich denke, das, was er jetzt getan hat, rechtfertigt unsere Vorbehalte.«
Erin wollte nicht glauben, was sie da hörte. Wie konnte jemand absichtlich so grausam sein? Merkten diese beiden denn überhaupt nicht, wie ihre Worte Melanie kränken mußten? Das wollte Erin ihnen aber sagen!
Sie machte einen Schritt auf das Paar zu und öffnete gerade den Mund, um ihnen gehörig die Leviten zu lesen, als Lance sie unterbrach.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, so würde ich
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