Schöne Lügen: Roman (German Edition)
andere Form der Kindsmißhandlung gibt. Es erstaunt mich, daß Melanie weder verrückt noch aggressiv geworden ist.«
»Da stimme ich Ihnen zu. Wir müssen beinahe genausoviel Zeit dafür aufbringen, gegen diese Leute anzukämpfen und den Schaden wiedergutzumachen, den sie bei Melanie anrichten, wie wir für unseren Job brauchen.« Er lächelte fast. »Ich tue mein Bestes, sie Melanie so weit wie
möglich vom Leib zu halten, bis die ganze Sache hier vorüber ist.«
»Das einzig Richtige«, antwortete Erin.
Sie schwiegen einen Augenblick und bemühten sich krampfhaft, einander nicht anzusehen. Erin wußte aus Erfahrung, daß ihr Gesicht viel zuviel von ihren Gefühlen verriet. Und das war jetzt besonders gefährlich, weil Lance so gleichgültig schien.
Nachdem seine Blicke einige Male durch das ganze Zimmer geirrt waren, fragte er: »Sagen Sie mir, wann Sie abreisen wollen, dann kann Mike den Flug buchen, wenn Sie das nicht schon getan haben. Er soll Sie zum Flughafen bringen.«
»Danke für Ihre Freundlichkeit, Mr. Barrett, aber ich bleibe.«
6. KAPITEL
Erins Worte dröhnten in seinen Ohren und brummten in seinem Kopf. Er versuchte das heiße Glücksgefühl zu unterdrücken, daß sich in ihm breitmachen wollte. Den größten Teil der Nacht und den ganzen Tag über hatte er sich für das gescholten, was in der Nacht geschehen war. Es war unglaublich töricht von ihm gewesen, so etwas zu tun.
Den ersten Kuß konnte er noch rechtfertigen – vielleicht. Er hatte versucht, eine verdächtige Person zu überführen, um herauszufinden, wie weit sie mit ihrer Lüge zu gehen bereit war. Aber in der letzten Nacht gab es für ihn nur ein einziges Ziel – Lust.
Er wollte sich später fragen, warum er in der Nacht so besessen von ihr gewesen war, wenn er sie erst einmal bei Tageslicht sähe. Doch es war alles ganz anders gekommen. Beim ersten Wiedersehen am heutigen Morgen war das gleiche Verlangen nach ihr erwacht, das ihn auch in der Nacht getrieben hatte. Alle seine Muskeln hatten sich angespannt, und er fühlte sich so unbehaglich wie in zu enger Kleidung.
Auch als er Erin jetzt ansah, glaubte er, in ihren großen braunen Augen zu versinken, das Blut rauschte in seinen Ohren; am liebsten wäre er mit einem Satz über den Schreibtisch gesprungen und hätte sie in seine Arme gerissen zu einem leidenschaftlichen Kuß. Noch einmal wollte er ihre
Lippen schmecken, wollte ihre unglaublich zarte Haut unter seinen Händen fühlen, wollte bei Licht all das sehen, was er in der Dunkelheit geküßt hatte.
Und er wollte noch einmal dieses leise, wohlig schnurrende Geräusch hören, das aus ihrem Mund gekommen war, als er ihre Brüste geküßt hatte. Es war kein Geräusch gewesen, das sie beabsichtigt hatte, ganz unbewußt war es ihr entschlüpft.
Er mußte übergeschnappt sein! Was war aus seiner kalten Beherrschung geworden, aus seiner vielbeneideten Objektivität? Man liebt sie und verläßt sie wieder, Barrett. Seine Erfahrung hatte ihn beinahe davon überzeugt, daß ein leidenschaftlicher Kuß, eine sinnliche Berührung genügen würden, doch so war es nicht, es hatte bei weitem nicht genügt. Er wollte sie ganz, wollte sie mit einer Verzweiflung, die er seit seiner Pubertät nicht mehr kannte. Es ist unmöglich, Barrett! Unmöglich.
Immer, wenn seine Gedanken zu ihr abdrifteten, tröstete er sich damit, daß sie bald nicht mehr da wäre und daß er sich dann wieder in einen ganz normalen, vernünftigen Menschen verwandeln würde. Aber jetzt hatte sie ihm erklärt, daß sie nicht abreiste. Verdammt! Sie hatte sich ihm in allen Dingen widersetzt. Warum also glaubte er, daß sie sich auf einmal seinem Diktat beugen würde?
Er sprang von seinem Stuhl auf. »Den Teufel werden Sie tun, Miss O’Shea.«
Seine Reaktion traf sie völlig unvorbereitet, und einen Augenblick lang starrte sie ihn mit großen, fragenden Augen an, den Mund vor Überraschung ein wenig geöffnet. Sie hatte absolut keine Ahnung, wie bezaubernd feminin und wehrlos sie in diesem Augenblick aussah.
Dann aber verwandelte sich ihr Erschrecken in Zorn, und sie sprang ebenfalls auf, lehnte sich über den Schreibtisch und funkelte ihn an. »Ich werde nicht abreisen, meine Schwägerin braucht mich. Sie selbst haben das gerade erst vor zwei Minuten zugegeben. Was haben Sie denn dagegen, daß ich hierbleibe, Mr. Barrett?«
»Die Gründe, die dagegen sprechen, sind viel zu zahlreich, um sie Ihnen hier aufzuzählen.«
»Sie haben nicht ein einziges triftiges
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