Schöne Lügen: Roman (German Edition)
denen nichts zu entgehen schien. Auch sie würde seinen Blicken nicht entkommen, deshalb war es eine kluge Entscheidung, hinter dem Schreibtisch sitzen zu bleiben.
»Du hast es hübsch hier, Erin«, meinte er und deutete mit einer ausladenden Handbewegung in die Runde. »Ich bin beeindruckt.«
Er lächelte, als er sich setzte, und ihr Herz begann zu rasen. Die Zähne leuchteten in seinem gebräunten Gesicht, was für eine Erscheinung!
»Danke. Wir befinden uns gerade in einer weniger geschäftigen Jahreszeit. Im Sommer geht es hier etwas gemächlicher zu. Wir werden erst wieder viel zu tun haben, wenn unsere Kunden ihre neuen Kollektionen vorbereiten für den Herbst und Weihnachten.« Zu der Zeit würde sie schon
hochschwanger sein und die hektische Betriebsamkeit dann wohl nur mühsam ertragen.
»Ich hätte wahrscheinlich vorher anrufen sollen, statt hier einfach hereinzuschneien, aber ich dachte, es wäre besser, wenn ich mich nicht lange telefonisch anmelde.«
Seine Worte waren beinahe die gleichen, die sie zu ihm gesagt hatte, als sie vor dem Haus der Lymans aufgetaucht war. Er sah sie an. Ob sie sich noch daran erinnerte? Ja, das war der Fall, und beide lächelten.
»Du hast recht. Ich bin froh, daß du gekommen bist«, wiederholte sie seine damalige Antwort. Nun lachten sie laut auf. Es folgte ein angespanntes Schweigen, während dessen sie einander ansahen. Lance knöpfte sein Jackett auf, und Erin hatte Zeit, sich wieder zu fangen. »Du siehst verändert aus.«
»Wieso?«
»Deine Kleidung. Sie ist nicht so … konservativ wie früher.«
Er hatte ihr Zögern bemerkt, jetzt zeigte sich auf seinen Zügen wieder der Sarkasmus, der ihr noch so lebhaft vor Augen war. »Du meinst wohl, sie ist nicht mehr so langweilig, oder?«
Vergnügt stimmte sie ihm zu. »Ja, langweilig. Hat etwa das Finanzministerium neue Uniformen genehmigt?«
Er zuckte die Schultern, ihre Reaktion auf seine nächsten Worte beobachtete er sehr sorgfältig. »Das weiß ich nicht. Ich arbeite nicht mehr für die Regierung.«
Sie war überrascht. »Wie bitte?« Ihre Augen weiteten sich vor lauter Fragen.
»Ich habe schon länger dort aufgehört zu arbeiten.
Eigentlich bin ich heute in meiner letzten offiziellen Mission hier. Ich habe mich mit einem Kollegen zusammen selbständig gemacht.«
»Lance …« Erin suchte nach Worten. »Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Bist du glücklich? Ist es das, was du wolltest? Aber du warst doch so gut in deinem Job.«
»Danke.« Er lächelte. »Ich nutze meine Erfahrungen aus der Vergangenheit für das, was ich jetzt tue. Dieser Freund, mit dem ich mich selbständig gemacht habe, hat schon vor einigen Jahren seine Arbeit beim Finanzministerium aufgegeben. Er besucht Banken, Firmen und Konzerne, und hält dort Seminare, wie man Wirtschaftskriminalität verhindern beziehungsweise aufspüren kann. Er bildet die Angestellten dieser Firma aus, wie man mit Kriminellen umgeht, zum Beispiel bei einem Überfall oder so.«
Er schlug die Beine übereinander. »Nun ja, vor einigen Monaten hat er mich angerufen. Seine Firma wuchs ihm über den Kopf. Er konnte nicht alle Kunden zufriedenstellen und wollte wissen, ob ich an einer Mitarbeit interessiert wäre. Er war schon eine Weile aus dem Geschäft mit der Regierung heraus und konnte meine Erfahrungen der letzten Jahre gut brauchen, um seine Geschäftsgrundlagen aufzufrischen.«
Er stellte ein Bein wieder auf den Boden, dann beugte er sich vor. »Erin, ich bin erstaunt, wie lukrativ unser Unternehmen ist. Die Firmen sind bereit, riesige Summen auszugeben, um sich größere Verluste zu ersparen. Wir verdienen eine Menge Geld, aber wir bieten ja auch wertvolle Dienste.«
Seine Begeisterung war ansteckend, und Erin freute sich
über seinen Erfolg. Er war so viel entspannter, weniger auf der Lauer, so hatte sie ihn noch nie gesehen.
»Um die Wahrheit zu sagen«, sprach er weiter, »war ich mit meiner Arbeit sehr unzufrieden nach … San Francisco.« Seine Stimme erstarb, er sah sie eindringlich an.
Es waren zwar mittlerweile fünf Monate vergangen, doch immer noch verspürte Erin einen Kloß im Hals, wenn von Ken die Rede war. Sein Tod, ehe sie ihn hatte kennenlernen können, blieb eine offene Wunde in ihrem Inneren. »Ich glaube, das kann ich verstehen«, murmelte sie.
»Hörst du eigentlich manchmal von Mrs. Lyman?« wollte er wissen.
Erins Gesicht hellte sich auf. »Ja, Melanie ist nach Oregon gezogen und hat Arbeit bei einem Floristen
Weitere Kostenlose Bücher