Schöne Lügen: Roman (German Edition)
ein Park sein konnte. Neben ihrem Knie stand ein schüchtern aussehender kleiner Junge, noch ein Kleinkind. Auf ihrem Schoß hielt sie ein Baby. Runde, dunkle Augen blickten aus dem kleinen Gesicht, ein Spitzenhäubchen saß auf seinem Kopf.
Die Frau starrte direkt in die Kamera, doch sie lächelte nicht. Es war, als würde sie durch den Photographen hindurchblicken. In Gedanken schien sie weit weg zu sein. Ihre Augen hatten einen herzzerreißenden Blick, sie sah dem kleinen Jungen und dem Baby sehr ähnlich. Ihr Gesicht war schmal, beinahe zerbrochen sah sie aus, als hätte sie ihr Leben nicht mehr im Griff. Ihre Unsicherheit wurde auch deutlich in der Art, wie sie den Kopf hielt, in der Art, wie sie das Baby an sich drückte und in der schmalen Hand, die auf der Schulter des kleinen Jungen ruhte. Sie schien Verzweiflung zu verkörpern. Der sanfte Ausdruck in ihrem Gesicht machte ihre Resignation dem Schicksalsschlag gegenüber, der sie augenscheinlich getroffen hatte, noch bewegender.
Schon seit einiger Zeit hatten Tränen Erins Blick verschleiert, dennoch starrte sie weiter auf dieses Foto. Minuten
vergingen, während sie jede Einzelheit in sich aufsog, versuchte, durch das Bild hindurch in eine andere Dimension zu gelangen, die Gedanken dieser Frau zu erfassen. Lance störte sie nicht, er rührte sich nicht einmal. Er wagte kaum zu atmen.
Schließlich sah Erin zu ihm auf. Gott, sie ist so wunderschön, dachte er. Auch wenn ihr Gesicht jetzt naß war von Tränen, so war sie doch die wundervollste Frau, die er je gesehen hatte. Es hatte ihn beinahe übermenschliche Kraft gekostet, durch die Tür dieses Büros zu gehen. Als er sie zum letztenmal gesehen hatte, hatten diese dunklen Augen Giftpfeile auf ihn abgeschossen. Ein vernünftiger Mann hätte sich zurückgezogen und alles auf sich beruhen lassen.
Aber er war nicht vernünftig. Nein, nicht Lance Barrett. Es war beinahe so, als könne er sich selbst nicht genug strafen. Er mußte sie einfach wiedersehen, mußte sich davon überzeugen, daß das, was in San Francisco geschehen war, nur eine flüchtige Verzauberung gewesen war. Affären wie diese waren zum Scheitern verurteilt, sie waren zu heftig und deshalb auch schnell verflogen. So wurde es doch in diesem Lied gesungen, nicht wahr? Er würde sie wiedersehen, und dann könnte er sie für immer aus seinen Gedanken verbannen.
Aber eine innere Stimme hatte ihm gesagt, daß es nicht so sein würde. Irgend etwas war im letzten Februar mit ihm geschehen, seitdem hatte er sich verändert. Er hatte sich verliebt.
Er hielt sich ständig vor, daß er zu alt war, um sich wegen einer Frau zum Narren zu machen. Wegen jeder kleinsten Unaufmerksamkeit fuhr er seine Männer an, ließ seinen
Grant an ihnen aus. Einer von ihnen war sogar mit einem gebrochenen Kiefer wieder aufgewacht, nur weil er Lance geraten hatte, ein Intermezzo mit einem netten Weibsbild würde sicher seine Laune heben. Er konnte weder schlafen noch essen. Seine Familie und auch seine Freunde begannen ihm aus dem Weg zu gehen. Doch sie konnten ihn nicht mehr verachten, als er selbst es schon tat.
Erin hatte ihn in die Hölle geschickt. Nun, er hatte sie durchlitten, und es hatte ihm nicht gefallen. Das erste Stückchen Himmel, das er seit den letzten fünf Monaten gesichtet hatte, war ihr Anblick jetzt, als er eben durch diese Tür getreten war.
Verdammt! Es ging ihm jetzt sogar noch schlechter als zuvor. Der ganze Mann bestand aus Aufruhr, nur weil er in ihrer Nähe war. Er wollte ihr seine Liebe erklären, wagte es aber nicht.
Sie duftete köstlich und schien von innen nach außen zu strahlen. Ihre Lippen waren feucht geöffnet, er konnte sogar ihre rosige Zungenspitze sehen, hinter der Reihe perlweißer Zähne. Gott, er wünschte, er könnte sie mit seinen Lippen erfühlen, in seinem Mund, er wollte sie schmecken.
Als Erin ihn jetzt mit ihren tränenschimmernden Augen ansah, brauchte er seine gesamte Selbstkontrolle, um sie nicht in seine Arme zu reißen und nie wieder loszulassen. Sie war so ganz anders, als er sie im Gedächtnis hatte, und doch so vertraut. Sie war die erste Frau, die ihn vollkommen geliebt hatte, einzigartig zu ihm paßte. Sie war Erin O’Shea. Seine Erin.
Aber da war noch etwas …
»Auf der Rückseite steht ein Text«, sagte er sanft.
Erin drehte das Bild herum und las laut: »Kens Mutter Mary Margaret Conway und seine Schwester. Sie starb zwei Wochen, nachdem das Bild aufgenommen wurde, an Tuberkulose. Das kleine
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