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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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weiter, die drei Mädchen hinterdrein. Erst als er in Sigmunds Flugzeug saß und die Tür zugeschmettert hatte, ließen sie unter bitteren Vorwürfen von ihm ab.
    »Diese Weiber!« sagte er, während der Hubschrauber
    aufstieg. »Diese Weiber!« Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf.
    »Einfach schrecklich.« Sigmund stimmte ihm scheinheilig bei, während er insgeheim wünschte, ebenso viele Mädchen wie Helmholtz haben zu können und ebenso mühelos. Er verspürte plötzlich das heftige Bedürfnis, anzugeben. »Ich nehme Lenina Braun nach Neumexiko mit«, sagte er so beiläufig wie möglich.
    »So?« fragte Helmholtz ohne eine Spur von Interesse.
    Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Seit ein, zwei Wochen bin ich allen Versammlungen und allen Frauen ausgewichen. Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Theater sie in der Hochschule deswegen machen.
    Und doch lohnte es sich, glaube ich. Die Wirkungen -«
    Er zögerte. »Nun, sie sind merkwürdig, höchst merkwürdig.«
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    Körperliche Unzulänglichkeit konnte geistigen Überschuß
    bewirken. Offenbar ließ sich der Vorgang aber auch umkehren.
    Geistiger Überschuß konnte zu seinem eigenen Nutzen
    freiwillige Blindheit und Taubheit selbstgewählter Einsamkeit, künstliche Impotenz der Askese hervorrufen.
    Schweigend legten sie den Rest des kurzen Fluges zurück. In Sigmunds Wohnung angelangt, behaglich auf die pneumatischen Sofas hingestreckt, nahm Helmholtz das Gespräch wieder auf.
    »Hast du jemals«, fragte er, bedächtig Wort nach Wort
    setzend, »hast du jemals das Gefühl gehabt, als hättest du etwas im Innern,
    das nur auf eine Gelegenheit wartet,
    hervorzubrechen? Eine Art überschüssige, ungenutzte Kraft, etwas wie das Wasser, das über die Felsen hinabstürzt, statt Turbinen anzutreiben?« Fragend sah er Sigmund an.
    »Meinst du all die Gemütsbewegungen, die man haben
    könnte, wenn die Dinge anders wären?«
    »Nicht ganz.« Helmholtz schüttelte den Kopf. »Ich meine«, sagte er, »daß mich manchmal das seltsame Gefühl beschleicht, ich hätte etwas Wichtiges zu sagen und besäße auch die Kraft dazu - nur weiß ich nicht, was es ist, und kann die Kraft nicht verwerten. Wenn ma n anders schreiben könnte - oder über anderes...« Er verstummte; endlich fuhr er fort: »Weißt du, ich kann ganz gute Merksprüche erfinden - du kennst ja diese Verse, die einen förmlich in die Höhe fahren lassen, als hätte man sich auf eine Nadel gesetzt. Sie wirken so neu und sensationell, selbst wenn sie eine abgedroschene Schlafschulweisheit
    verkünden. Aber das genügt mir eben nicht. Es genügt mir nicht, daß die Merksprüche gut sind; auch was man mit ihnen bewirkt, sollte gut sein.«
    »Aber deine Sachen sind doch gut, Helmholtz.«
    »Soweit solches Zeug eben gut sein kann.« Er zuckte die
    Achseln. »Aber das sind Nichtigkeiten, das ist nicht bedeutend genug. Ich fühle,
    ich könnte viel Bedeutenderes,
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    Leidenschaftlicheres, Wirkungsvolleres leisten. Aber was? Was gibt es Bedeutungsvolleres zu sagen? Und wie kann man bei unseren herkömmlichen Themen Leidenschaft entwickeln?
    Worte können Röntgenstrahlen gleichen, wenn man sie richtig anwendet, können alles durchdringen. Man liest und ist
    durchdrungen. Das versuche ich immer, meinen Studenten beizubringen. Wie schreibe ich durchdringend? Aber wozu in aller Welt ist es gut, von einem Artikel über einen
    Vereinigungschor oder über die neuesten Verbesserungen des Duftorgelbaus durchdrungen zu sein? Können denn überhaupt Worte durchdringend wie die stärksten Röntgenstrahlen sein, wenn man über solche Dinge schreibt? Kann man etwas über nichts sagen? Darauf läuft am Ende alles hinaus. Ich versuche und versuche...«
    »Pst!« machte Sigmund plötzlich und hob warnend den
    Finger. Sie lauschten. »Ich glaube, jemand steht vor der Tür«, flüsterte er.
    Helmholtz erhob sich, schlich auf Zehenspitzen durchs
    Zimmer und stieß mit einem Ruck die Tür auf. Natürlich weit und breit kein Mensch.
    »Entschuldige!« sagte Sigmund, der sich qualvoll töric ht vorkam und auch so aussah. »Ich glaube, meine Nerven sind nicht ganz in Ordnung. Wenn man von den Menschen immer
    beargwöhnt wird, muß man schließlich selber argwöhnisch werden.«
    Seufzend fuhr er sich über die Augen, seine Stimme wurde klagend. »Wenn du wüßtest, was ich in letzter Zeit
    durchgemacht habe!« sagte er fast unter Tränen. Selbstmitleid quoll in ihm hoch wie das Wasser in einem plötzlich
    aufgedrehten

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