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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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Geborgenheit und das verstohlene
    Näherschleichen des Schlafs...
    »Ich glaube, den Epsilons ist es gar nicht unangenehm,
    Epsilons zu sein«, sagte sie.
    »Natürlich nicht. Wie wäre das auch möglich? Sie wissen
    doch gar nicht, wie das ist, wenn man anders ist. Uns natürlich wäre es sehr unangenehm. Aber wir sind eben anders genormt und haben überdies auch eine andere Erbmasse.«
    »Wie froh bin ich, daß ich keine Epsilon bin!« sagte Lenina voll Überzeugung.
    »Wärst du aber eine Epsilon«, entgegnete Henry, »dann wärst du dank deiner Normung ebenso froh, keine Beta oder Alpha zu sein.« Er ließ den Propeller anlaufen und lenkte den
    Hubschrauber in Richtung Berlin. Im Westen, schräg hinter ihnen, waren das Scharlachrot und Orange fast erloschen, eine dunkle Wolkenbank war in den Zenit emporgekrochen. Als sie das Krematorium überflogen, schoß das Flugzeug plötzlich in die Höhe, hinaufgetrieben von der heißen Luftsäule, die den Schloten entstieg, und sank ebenso plötzlich wieder in der kühleren Zone dahinter.
    »Ein wundervoller Hops!« lachte Lenina entzückt.
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    Aber Henrys Stimme hatte für einen Augenblick fast etwas Schwermütiges. »Weißt du auc h, was dieser Hops bedeutete?«
    fragte er. »Ein Mensch schied endgültig und für immer aus der Reihe der Lebenden. Ging auf in einer heißen Wolke aus Gas.
    Ob es wohl ein Mann oder eine Frau war? Ein Alpha oder ein Epsilon...?« Er seufzte. Dann sagte er mit betont fröhlicher Stimme: »Was immer er gewesen sein mag, eines ist jedenfalls gewiß: Er war glücklich, solange er lebte. Jeder ist heutzutage glücklich.«
    »Ja, jeder ist heutzutage glücklich«, echote sie. Die Worte waren ihnen zwölf Jahre lang allnächtlich hundertfünfzigmal wiederholt worden.
    Sie landeten auf dem Dach des vierzig Stockwerke hohen
    Appartementhauses Unter den Linden, in dem Henry wohnte, und begaben sich sofort in den Speisesaal hinunter. Inmitten einer fröhlich lärmenden Menge aßen sie eine vortreffliche Mahlzeit. Zum Mokkain wurde Soma serviert. Lenina nahm
    zwei Halbgrammtabletten, Henry drei. Um neun Uhr zwanzig gingen sie in die neueröffnete Dom-Diele am Lustgarten
    hinüber. Die Nacht war mondlos und sternenklar, aber die beiden merkten glücklicherweise nichts von dieser eher
    bedrückenden Tatsache, denn die Lichtreklamen hielten das nächtliche Dunkel mit Erfolg ab. »Hylton Vandervelde und seine sechzehn Sexofonisten.« Einladend flammten die riesigen Buchstaben auf der renovierten Fassade. »Berlins größte Duft-und Farbenorgel. Allerneueste synthetische Kondensmusik.«
    Sie traten ein. Die Luft war fast beklemmend schwer von dem Duft nach Ambra und Sandelholz. An die Kuppel des Doms
    hatte die Farbenorgel gerade einen tropischen Sonnenuntergang gemalt. Die sechzehn Sexofonisten spielten einen alten
    Erfolgsschlager: »Du allersüßestes Fläschchen der Welt.«
    Vierhundert Paare bewegten sich im Fünfschritt über das
    Parkett. Lenina und Henry bildeten bald das vierhunderterste.
    Die Sexofone jaulten melodisch wie sangesfrohe Katzen im
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    Mondschein und stießen klagende hohe und tiefe Töne aus, als wollten sie vor Lust ersterben. Mit einer Überfülle von
    Harmonien schwoll ihr bebender Chor zum Höhepunkt an,
    wurde lauter, immerlauter, bis endlich der Kapellmeister mit einem Wink die Äthermusik des erschütternden Schlußakkords entfesselte und die sechzehn Trompeter aus Fleisch und Blut glatt aus dem Dasein strich. Donner in As-Dur. Und dann, bei fast völliger Stille, in fast völliger Finsternis, folgte ein allmähliches Abschwellen, ein Diminuendo, das durch
    Vierteltöne tiefer und tiefer zu einem hingewisperten, lang anhaltenden Akkord hinabsank,
    während der
    Fünfviertelrhythmus darunter weiter pochte und die
    sekundenlange Dunkelheit mit angespanntester Erwartung lud.
    Plötzlich explodierte ein Sonnenaufgang, und zugleich
    brachen die Sechzehn in Gesang aus: Von dir, mein Fläschchen, träum ich Tag und Nacht.
    Warum hat man dich jemals Aufgemacht?
    Der Himmel war blau, Das Klima so lau, Ich kenn keinen einzigen Ort, Der mir besser gefällt Als du, mein allersüßestes Fläschchen der Welt.
    Zusammen mit vierhundert anderen Paaren bewegten sich
    Lenina und Henry immer und immer wieder durch die Dom-
    Diele. Aber sie waren in eine andere Welt entrückt, in die durchglühte, farbenfrohe, unendlich freundliche Welt des Somarausches. Wie nett, wie schön und hinreißend unterhaltsam alle Menschen zu sein

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