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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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    »Von dir, mein Fläschchen, träum ich - « Aber Lenina und Henry hatten schon, wovon sie geträumt. Sie fühlten sich geborgen, jetzt und hier, geborgen in lauem Klima, unter zeitlos blauem Himmel. Als die sechzehn Sexofonisten endlich
    erschöpft ihre Instrumente weglegten und das Synthetofon den allerneuesten Verhütungsfreudenwalzer brachte, glichen sie
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    Zwillingsembryos, die sanft miteinander auf den Wogen eines in eine Flasche abgefüllten Ozeans von Blutsurrogat schaukelten.
    »Gute Nacht, liebe Freunde! Gute Nacht, liebe Freunde!« Die Lautsprecher verbargen ihren Befehl hinter herzlicher
    melodiöser Höflichkeit. »Gute Nacht...«
    Gehorsam wie alle anderen verließen Lenina und Henry das Gebäude. Die bedrückenden Sterne waren ein tüchtiges Stück über den Himmel gewandert. Und obgleich der schützende
    Schirm von Lichtreklamen zum größten Teil verschwunden war, blieb dem jungen Paar auch weiter seine selige Unkenntnis der Nacht.
    Eine zweite Dosis Soma, eine halbe Stunde vor Schließung der Dom-Diele eingenommen, hatte eine undurchdringliche Mauer zwischen der rauhen Wirklichkeit und ihren Gemütern aufgerichtet. In einer Flasche verkorkt, überquerten sie die Straße; verkorkt fuhren sie mit dem Aufzug in Henrys Wohnung im achtundzwanzigsten Stockwerk hinauf. Aber obwohl Lenina verkorkt war, trotz dem zweiten Gramm Soma, vergaß sie doch nicht den vorschriftsmäßigen Empfängnisschutz. Jahrelanger gründlicher Schlafschulunterricht und malthusischer Drill dreimal die Woche vom zwölften bis siebzehnten Lebensjahr machten die Anwendungen dieser Mittel fast zu einer
    unwillkürlichen,
    unvermeidlichen Reflexbewegung,
    wie
    Blinzeln.
    »Ach, da fällt mir etwas ein, Henr y«, sagte sie, als sie aus dem Badezimmer zurückkam. »Stinni Braun läßt dich fragen, wo du diesen reizenden Patronengürtel aus grünem Saffianersatz für mich besorgt hast.«
    Jeden zweiten Donnerstagabend hatte Sigmund zur
    Eintrachtsandacht zu gehen. Sie speisten ziemlich zeitig im Eldoradoklub - Helmholtz war vor kurzem dort gemäß
    Paragraph zwei der Vereinssatzungen zum Mitglied gewählt worden -, dann verabschiedete er sich von seinem Freund,
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    winkte auf dem Dach einem Taxikopter und ließ sich zu der Fordson-Vereinigungssinghalle fliegen. Der Taxikopter stieg ein paar hundert Meter auf, wandte sich nordwestwärts, und schon lag vor Sigmunds Augen, gigantisch schön, die Singhalle.
    Lichtüberflutet strahlte der dreihundertzwanzig Meter lange Bau aus weißem Carraramarmorersatz mit schneeiger Glut über
    Kurärztedamm und Zoo. An jeder der vier Ecken der
    Landungsflächen ragte ein purpurn leuchtendes T in die Nacht.
    Aus den Trichtern von vierundzwanzig riesigen goldenen
    Trompeten donnerte feierliche synthetische Musik.
    »Verflucht, ich komme spät!« sagte sich Sigmund mit einem besorgten Blick auf den Großen Henry, die Singhallenturmuhr.
    Und während er den Taxikopter entlohnte, verkündete der Große Henry auch wirklich schon, wieviel es geschlagen hatte. »Ford«, sang ein gewaltiger Baß aus allen Goldtrompeten. »Ford, Ford, Ford -« Neunmal. Sigmund hastete zum Aufzug.
    Die große Halle für Fordtagsfeiern und andere
    Massenvereinigungssingereien lag im Erdgeschoß. Darüber
    befanden sich, je hundert in einem Stockwerk, die siebentausend Räume, die von den Eintrachtsgruppen alle vierzehn Tage für ihre Andachten benutzt wurden. Sigmund fuhr in den
    zweiunddreißigsten Stock hinunter und lief über den Korridor; vor Zimmer 3210 zögerte er einen Augenblick, dann, als er sich gefaßt hatte, öffnete er die Tür und trat ein.
    Ford sei Dank, er war nicht der letzte! Drei von den zwölf Stühlen um den kreisrunden Tisch standen noch leer. Möglichst unauffällig schlüpfte er auf den nächsten Platz, bereit, jeden noch später Kommenden mit Stirnrunzeln zu empfangen.
    Das Mädchen zu seiner Linken wandte sich ihm zu. »Was
    haben Sie heute nachmittag gespielt? Hindernis oder
    Elektromagnetisches?«
    Sigmund blickte auf. Allmächtiger Ford, es war Morgana
    Rothschild! Errötend gestand er: keines von beiden.
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    Erstaunt starrte ihn Morgana an. Es herrschte beklommenes Schweigen zwischen ihnen. Dann kehrte sie ihm abrupt den Rücken zu und wandte sich an den sportlicheren Mann auf ihrer anderen Seite.
    »Ein schöner Anfang für eine Eintrachtsandacht«, dachte Sigmund todunglücklich; er sah voraus, daß es ihm wieder einmal nicht gelingen würde, die höchste Ekstase zu

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