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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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gekommen waren.
    Mein Knie schmerzte zum Rasendwerden, und mein Soma war mir abha nden gekommen. Ich brauchte Stunden für den
    Rückweg. Erst nach Mitternacht erreichte ich die Schutzhütte.
    Sie war nicht dort. Sie war nicht dort«, wiederholte er und verfiel in Schweigen. Dann sagte er: »Am nächsten Tag suchten wir weiter. Vergeblich. Vielleicht war sie in einen Wildbach gestürzt oder von einem Berglöwen zerrissen worden. Das weiß Ford allein. Wie dem auch sei, es war grauenhaft. Ich war völlig am Boden. Unangebrachterweise, muß ich sagen. Denn ein
    solches Unglück kann doch jedem zustoßen, und der soziale Organismus bleibt bestehen, auch wenn seine einzelnen Zellen vergehen.« Dieser Schlafschultrost schien jedoch nicht sehr wirksam zu sein. Der BUND schüttelte den Kopf. »Manchmal
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    träume ich heute noch davon«, sagte er leise. »Träume, daß mich der Donner weckt, und sie ist verschwunden. Träume, wie ich sie in den Wäldern suche und suche.« Er versank in stumme Erinnerungen.
    »Es muß ein schrecklicher Schlag für Sie gewesen sein«,
    meinte Sigmund fast neidisch.
    Beim Klang seiner Stimme schrak der Direktor auf und
    vergegenwärtigte sich schuldbewußt, wo er war. Er warf
    Sigmund einen Blick zu, sah weg und errötete tief. Dann sah er ihn mit plötzlichem Mißtrauen an und sagte ärgerlich, wieder ganz Amt und Würde: »Glauben Sie ja nicht, daß ich
    irgendwelche unerlaubten Beziehungen zu dem Mädchen hatte!
    Alles ganz ohne tiefere Gefühle, nur für kurze Zeit. Alles vollkommen gesund und normal.« Er reichte Sigmund den
    Erlaubnisschein. »Weiß wirklich nicht, warum ich Sie mit dieser unbedeutenden Geschichte gelangweilt habe!« Wütend über
    sich, daß er sich sein schmachvolles Geheimnis hatte
    entschlüpfen lassen, ließ er seinen Zorn an Sigmund aus. Sein Blick war jetzt geradezu bösartig. »Und ich möchte diese Gelegenheit benutzen, Herr Marx, um Ihnen mitzuteilen, daß ich mit den Berichten über Ihre Lebensführung außerhalb der
    Arbeitszeit höchst unzufrieden bin. Sie können einwenden, das sei nicht meine Sache. Doch da irren Sie sich. Ich muß den guten Ruf der Zentrale wahren. Meine Angestellten müssen über jeden Verdacht erhaben sein, besonders die aus den obersten Kasten. Alphas sind zwar nicht so aufgenormt, daß sie in ihrem Gefühlsleben unbedingt infantil sein müssen. Aber das ist nur ein Grund mehr, sich besondere Mühe zu geben, den anderen zu gleichen. Es ist die Pflicht eines Alphas, infantil zu sein, auch gegen die eigene Neigung. Ich warne Sie also beizeiten, Herr Marx, ich warne Sie!« Die Stimme des BUND, die nun
    vollkommen sachlich geworden war, bebte vor Entrüstung; die Mißbilligung der Allgemeinheit sprach aus ihr. »Wenn ich noch einmal von einem Verstoß gegen die Regeln infantilen
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    Verhaltens höre, beantrage ich Ihre Versetzung in eine
    Hilfszentrale. Am besten wäre Island. Guten Morgen!« Er
    schwang sich auf dem Drehstuhl um seine Achse, nahm den Stift wieder zur Hand und begann zu schreiben.
    »Das wird ihm eine Lehre sein«, sagte er sich. Dem war aber nicht so. Denn als Sigmund aus dem Zimmer stolzierte und die Tür hinter sich zuwarf, beflügelte ihn der Gedanke, daß er sich allein im Kampf gegen die bestehende Ordnung befand; er fühlte sich erhoben von dem berauschenden Bewußtsein seiner individuellen Bedeutung und Wichtigkeit. Nicht einmal der Gedanke an Verfolgung entmutigte ihn, sondern spornte ihn eher an, statt ihn zu bedrücken. Er kam sich stark genug vor, jedes Ungemach auf sich zu nehmen und zu überwinden, sogar Island. Und seine Zuversicht war um so größer, als er nicht einen Augenblick ernstlich daran glaubte, daß er je
    irgendwelche Unannehmlichkeiten zu gewärtigen haben würde.
    Man versetzte nun einmal die Leute nicht wegen solcher Dinge.
    Island war nichts als eine leere Drohung. Aber eine überaus anfeuernde, belebende Drohung. Während er durch den Korridor ging, pfiff er wahrhaftig vor sich hin.
    Die Schilderung, die er abends von seiner Vorsprache beim BUND gab, war heroisch. »Und darauf sagte ich ihm einfach, er solle sich in die Vergangenheit scheren, und ging.« Er sah Helmholtz erwartungsvoll an, in der Hoffnung, den fälligen Lohn an Mitgefühl, Ermutigung und Bewunderung zu erhalten.
    Aber Helmholtz sagte keinen Ton; er saß schweigend da und starrte zu Boden. Er konnte Sigmund gut leiden, er war ihm dankbar, weil er der einzige seiner Bekannten war, mit dem er über die Dinge sprechen

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