Schöne Neue Welt
machen aber ein großes Aufsehen wegen solcher Kleinigkeiten. Wenn in zivilisierten Ländern ein Junge ein Mädchen haben will, braucht er nur - Ja, wohin läufst du denn, Michel?«
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Er achtete nicht auf ihre Rufe und stürmte weg - nur weg, irgendwohin, um allein zu sein.
Das Ende und der Anfang. Die Worte des alten Mitsima
gingen ihm immer wieder durch den Sinn. Aber für ihn war es nur das Ende... Stumm und aus der Ferne , aber leidenschaftlich, hoffnungslos, verzweifelt, hatte er Kiakime geliebt. Und nun war alles zu Ende! Er war damals sechzehn gewesen.
Zur Vollmondzeit wurden im Antilopenkiwa Geheimnisse
erzählt, Geheimes wurde getan, neue Gehe imnisse entstanden.
Als Knaben stiegen sie hinunter, und als Männer kamen sie zurück. Alle Jungen hatten Angst davor und sehnten sich doch ungeduldig danach. Endlich nahte der Tag. Die Sonne sank, der Mond stieg auf. Er ging mit den anderen. Männer standen am Eingang, dunkle Gestalten.
Eine Leiter führte in die rotbeleuchtete Tiefe hinab. Die Anführer der Knabenschar begannen schon hinunterzuklettern.
Plötzlich trat einer der Männer vor, packte ihn am Arm und zerrte ihn aus der Reihe. Er wand sich los und eilte auf seinen Platz zwischen den anderen zurück. Da schlug ihn der Mann und riß ihn an den Haaren. »Du gehörst nicht dazu, Weißhaar!« Und ein anderer sagte: »Der Sohn der Hündin gehört nicht dazu!«
Die Jungen lachten.
»Fort mit dir!« Und als er sich noch am Rande der Gruppe herumdrückte, schrien die Männer abermals: »Fort mit dir!«
Einer bückte sich, hob einen Stein auf und warf ihn nach ihm.
»Fort mit dir, fort!« Steine hagelten. Blutend stürzte er davon in die Dunkelheit. Aus dem rotbeleuchteten Kiwa erschallte
Gesang. Nun war auch der letzte der Knaben die Leiter
hinabgeklettert. Er war allein.
Ganz allein, außerhalb des Pueblos, auf der kahlen Fläche der Mesa. Im Mondlicht glichen die Felsen gebleichten Knochen.
Unten im Tal heulten die Präriewölfe den Mond an. Die Beulen schmerzten, die offenen Wunden bluteten noch, aber er
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schluchzte nicht mehr vor Schmerz, sondern weil er einsam war, hinausgestoßen in die Einsamkeit dieser Skelettwelt aus Felsen und Mondlicht. Am Rande des Abgrunds ließ er sich nieder, den Mond im Rücken, und blickte in den schwarzen Schatten der Mesa hinab, hinab in den düsteren Schatten des Todes. Nur ein Schritt, ein einziger kleiner Sprung... Er hielt die Rechte ins Mondlicht. Aus der Wunde am Gelenk sickerte noch immer
Blut. Alle paar Sekunden fiel ein dunkler Tropfen, fast farblos im totenfahlen Licht. Tropf, tropf, tropf... Morgen und morgen und dann wieder morgen...
In diesem Augenblick hatte er Zeit und Tod und Gott
entdeckt.»Allein, ewig allein!« rief der junge Wilde.
Die Worte weckten ein klagendes Echo in Sigmunds Brust.
Allein, allein... »Ich auch«, sagte er in plötzlich aufkommender Vertraulichkeit. »Grauenhaft allein.«
»Wirklich?« Michel machte ein überraschtes Gesicht.
»Ich dachte, in der Anderen Welt - Filine hat mir nä mlich immer erzählt, daß niemand dort je allein ist.«
Sigmund errötete verlegen. »Ja, sehen Sie«, murmelte er abgewandten Blicks, »ich bin wohl ganz anders als die meisten Menschen. Wenn man unter anderen Umständen entkorkt ist...«
»Daran liegt es«, nickte der junge Mann. »Wenn man anders ist als die übrigen Menschen, muß man einsam bleiben. Die Menschen sind so gemein zu einem. Wissen Sie, daß sie mich buchstäblich von allem ausgeschlossen haben? Als die anderen Jungen für eine Nacht in die Berge hinausgeschickt wurden - um zu träumen, welches ihr heiliges Schutztier sei, verstehen Sie? -, durfte ich nicht mit.
Sie wollten mir nichts von den Geheimnissen verraten.
Aber ich bin ganz allein drauf gekommen«, fügte er hinzu.
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»Fünf Tage habe ich nichts gegessen, und dann blieb ich eine Nacht allein draußen in den Bergen.« Er wies mit der Hand in die Richtung.
Gönnerhaft lächelte Sigmund. »Und haben Sie etwas
geträumt?«
Der andere nickte: »Ich darf Ihnen aber nicht sagen, was.« Er schwieg eine kleine Weile, dann fuhr er mit gedämpfter Stimme fort: »Einmal tat ich etwas, das keiner von den ändern je getan hat. Ich stellte mich an einem Sommermittag an eine Felswand, die Arme ausgebreitet wie Jesus am Kreuz.«
»Aber wozu denn nur?«
»Ich wollte wissen, wie es ist, wenn man gekreuzigt wird. In der Sonnenglut zu hängen -«
»Ja, aber warum?«
»Warum? Nun...« Er zögerte.
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