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Schöne Neue Welt

Schöne Neue Welt

Titel: Schöne Neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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der Weltaufsichtsrat für Westeuropa elastischen Schrittes eintrat.
    Mustafa Mannesmann schüttelte allen dreien die Hand, aber er richtete das Wort nur an den Wilden. »Also Ihnen gefällt unsere Zivilisation nicht besonders, Herr Wilder?«
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    begann er.
    Der Wilde sah ihn an. Er hatte sich vorgeno mmen zu lügen, Krach zu machen, verstockt zu schweigen; aber durch das wohlwollende, kluge Gesicht des Aufsichtsrats ermutigt, beschloß er, geradeheraus die Wahrheit zu sagen. »Nein!« Er schüttelte den Kopf.
    Sigmund gab es einen Ruck; er machte ein entsetztes Gesicht.
    Was mochte der Aufsichtsrat nur denken? Als Freund eines Menschen gebrandmarkt zu sein, der offen, und ausgerechnet dem WAR, eingestand, daß ihm die ganze Zivilisation nicht gefiel, das war ja schrecklich. »Aber Michel«, begann er, doch ein Blick Mustafa Mannesmanns verurteilte ihn zu
    unterwürfigem Schweigen.
    »Natürlich«, räumte der Wilde ein, »gibt es allerlei Hübsches hier. Die viele Musik überall, zum Beispiel...«
    »Mir klimpern manchmal viel tausend helle Instrument' ums Ohr, und manchmal Stimmen«, fiel der Aufsichtsrat ein.
    Jähe Freude leuchtete im Gesicht des Wilden auf. »Auch Sie haben das gelesen?« fragte er. »Ich dachte, niemand hier in Europa kennt das Buch.«
    »Fast niemand. Ich bin einer der wenigen. Es ist nämlich verboten. Aber da ich hierzulande die Gesetze mache, darf ich sie auch brechen. Ungestraft, Herr Marx«, setzte er, sich an Sigmund wendend, hinzu. »Im Gegensatz zu Ihnen.«
    Sigmund versank noch tiefer in hoffnungslose Verzweiflung.
    »Aber warum ist es verboten?« fragte der Wilde. Über der Aufregung, einem Menschen zu begegnen, der Shakespeare gelesen hatte, vergaß er für den Augenblick alles andere.
    Der Aufsichtsrat zuckte die Achseln. »Vor allem, weil es alt ist. Wir können Altes nicht gebrauchen.«
    »Auch nicht, wenn es schön ist?«
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    »Dann erst recht nicht. Schönheit ist anziehend, und wir wollen nicht, daß Menschen sich von Altem angezogen fühlen.
    Wir wollen, daß ihnen das Neue gefällt.«
    »Aber das Neue ist doch so dumm und scheußlich! Diese
    Dramen, in denen es nichts als umherfliegende Helikopter gibt und man die Küsse am eigenen Leib spürt.« Er verzog sein Gesicht. »Ziegen und Affen!« Nur mit Othellos Worten
    vermochte er seiner haßerfüllten Verachtung Luft zu machen.
    »Immerhin brave, harmlose Tierchen«, warf der Aufsichtsrat halbla ut ein.
    »Warum spielt man ihnen nicht statt dessen ›Othello‹ vor?«
    »Wie gesagt, weil es alt ist. Die Leute würden es auch gar nicht verstehen.«
    Ja, das stimmte. Er erinnerte sich an Helmholtz' Gelächter über »Romeo und Julia«. »Also dann«, sagte er nach einer Weile, »etwas Neues in der Art von ›Othello‹, was sie verstehen können.«
    »Das haben wir alle immer schreiben wollen«, brach
    Helmholtz sein langes Schweigen.
    »Und gerade das werdet ihr nie schreiben«, entgegnete der WAR. »Denn entweder wäre es wirklich wie ›Othello‹, dann könnte kein Mensch es verstehen, auch wenn es noch so neu wäre. Oder es wäre neu, dann könnte es nicht wie ›Othello‹
    sein.«
    »Warum nicht?«
    »Ja, warum nicht?« fragte auch Helmholtz. Auch er vergaß das Unangenehme der Lage. Nur Sigmund, grün vor Angst und Sorge, dachte daran, aber ihn beachtete keiner.
    »Warum nicht?«
    »Weil unsere Welt nicht die Othellos ist. Ohne Stahl kein Kraftwagen, ohne soziale Unbeständigkeit keine Tragödien. Die Welt ist jetzt im Gleichgewicht. Die Menschen sind glücklich,
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    sie bekommen, was sie begehren, und begehren nichts, was sie nicht bekommen können. Es geht ihnen gut, sie sind geborgen, immer gesund, haben keine Angst vor dem Tod. Leidenschaft und Alter sind diesen Glücklichen unbekannt, sie sind nicht mehr von Müttern und Vätern geplagt, haben weder Frau noch Kind, noch Geliebte, für die sie heftige Gefühle hegen könnten, und ihre ganze Normung ist so, daß sie sich kaum anders benehmen können, als sie sollen. Und wenn wirklich einmal etwas schiefgeht, gibt es Soma. Und da kommen Sie her, Herr Wilder, und werfen es zum Fenster hinaus, im Namen der Freiheit. Freiheit!« Er lachte. »Von Deltas zu erwarten, daß sie wissen, was Freiheit ist! Und jetzt gar, daß sie ›Othello‹
    verstehen! Aber, aber, lieber Freund!«
    Der Wilde antwortete nicht sofort. »Und dennoch«, darauf beharrte er trotzig, »dennoch ist ›Othello‹ gut, besser als die Fühlfilme.«
    »Selbstverständlich«, stimmte der

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