Schöne neue Welt
Siebzehntes.
Hinunter, hin -«
Der Fahrstuhlführer warf die Türen zu, drückte auf einen Knopf und sauste zurück in das surrende Dämmer des Aufzugsschachts, zurück in das Dämmer seiner gewohnten dumpfen Starre.
Auf dem Dach war es warm und strahlend sonnig. Hubschrauber schwirrten mit einschläferndem Summen durch den Sommernachmittag; Raketen schössen acht, neun Kilometer oberhalb unsichtbar durchs Blau; ihr dumpferes Brummen lag wie eine Liebkosung in der warmen Luft. Sigmund Marx atmete tief, sah empor, ließ den Blick über den azurnen Horizont wandern und endlich auf Leninas Gesicht verweilen. »Wie schön!« Seine Stimme bebte ein wenig.
Sie lächelte ihn voll innigen Verständnisses an. »Einfach großartig für Hindernisgolf!« meinte sie hingerissen.
»Aber nun muß ich rasch weg, Sigmund. Henry ärgert sich, wenn ich ihn warten lasse. Sagen Sie mir rechtzeitig Bescheid, wann wir reisen!« Sie winkte zum Abschied und lief über das Flachdach zu den Hangars. Sigmund sah dem Blinken der weißen Strümpfe nach, das sich immer mehr entfernte, den sonnengebräunten Kniekehlen, die sich hurtig beugten und streckten, wieder und wieder, und dem gemächlicheren Wogen des knappsitzenden Kordhöschens unterhalb der flaschengrünen Jacke.
Schmerz lag in seinen Zügen.
»Hübsch ist die, das muß man sagen«, bemerkte eine laute, muntere Stimme hinter ihm.
Sigmund fuhr herum. Benitos rotes Mopsgesicht strahlte ihn mit sichtlicher Herzlichkeit an. Benito war bekannt für seine Gutmütigkeit. Er könnte mit dem Leben auch zurechtkommen, sagte man von ihm, ohne jemals Soma anzurühren. Groll und schlechte Laune, derentwegen andere in die Somaferien flüchten mußten, befielen ihn nie. Die Welt war für Benito immer eitel Sonnenschein.
»Und pneumatisch dazu! Und wie!« Dann fuhr er in verändertem Ton fort: »Sehen Sie aber finster drein! Sie brauchen ein wenig Soma.« Er fuhr in die rechte Hosentasche und zog ein Fläschchen hervor. »Ein Kubikzentimeter vertreibt zehn - Na, das ist denn doch!«
Sigmund hatte sich plötzlich umgewandt und war davongestürzt.
Benito starrte ihm nach. »Was ist mit dem Burschen nur los?« fragte er sich; kopfschüttelnd kam er zu der Überzeugung, daß das Gerede über den Alkohol im Blutsurrogat des armen Kerls doch wahr sein mußte. »Hat wahrscheinlich sein Gehirn angegriffen.«
Er steckte das Somafläschchen wieder ein, nahm eine Packung Sexualhormonkaugummi aus der Tasche, schob einen Streifen in den Mund und schlenderte kauend zu den Hangars.
Henry Päppler hatte seinen Helikopter aus dem Verschlag herausrollen lassen und saß bereits im Führersitz, als Lenina erschien.
»Vier Minuten Verspätung!« war alles, was er sagte, während sie auf den Sitz neben ihm kletterte. Er ließ die Motoren anspringe n und schaltete die Rotoren ein. Der Hubschrauber schoß senkrecht in die Luft. Henry gab Gas; das Flügelgesurre stieg schrill von Hornisse bis Wespe, von Wespe bis Moskito. Der Tachometer zeigte, daß sie fast zwei Kilometer in der Minute an Höhe gewannen. Berlin schrumpfte unter ihnen zusammen. In wenigen Augenblicken glichen die riesigen Flachdachbauten nur noch einem Beet geometrischer Pilze inmitten des Grüns der Gärten und Parkanlagen. In ihrem Zentrum stand ein höherer, schlankerer Pilz mit dünnem Stie l, der Anhalter Flugturm, und hob seinen flachen Hut aus hellem Beton gegen den Himmel. Gleich vage umrissenen Torsi sagenhafter Athleten rekelten sich riesenhafte fleischige Wolken in der Bläue über ihnen. Aus einer dieser Wolken fiel plötzlich ein winziges leuchtendrotes Insekt, das im Niedersausen zischte.
»Das ist die Rote Rakete aus New York«, sagte Henry. Er sah auf die Uhr und schüttelte den Kopf. »Sieben Minuten Verspätung. Diese Transatlantiklinie mit ihrer Unpünktlichkeit ist wirklich ein Skandal.«
Er nahm den Fuß vom Gashebel. Das Surren der Helikopterflügel über ihnen sank um anderthalb Oktaven, über Wespe und Hornisse zurück zu Hummel, Maikäfer und Hirschkäfer. Die Steiggeschwindigkeit der Maschine verlangsamte sich. Im nächsten Augenblick hingen sie reglos in der Luft. Henry drückte auf einen Hebel. Ein Klicken. Erst langsam, dann rascher, immer rascher drehte sich der Propeller vor ihnen, bis er nur noch ein kreisender Nebel war. Sie flogen jetzt in gleichbleibender Höhe. Der Gegenwind pfiff immer schriller in den Versteifungen. Henry behielt den Drehzahlmesser im Auge; als die Nadel zwölfhundert zeigte, setzte er die
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