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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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befand, statt darauf hinabzublicken, kam er sich gedemütigt vor. Wird ihn der Kerl mit dem der höheren Kaste schuldigen Respekt behandeln? Die Frage verfolgte ihn. Nicht ohne Grund. Gammas, Deltas und Epsilons wurden ja in gewissem Maß darauf gedrillt, höheren Wuchs mit hoher gesellschaftlicher Stellung gleichzusetzen. Vom Schlafschulunterricht her herrschte allgemein eine gewisse Vorliebe für hohen Wuchs. Und deshalb lachten die Mädchen über seine Anträge, deshalb trieben seine männlichen Kastengenossen ihren Spaß mit ihm. Ihr Spott machte ihn zum Außenseiter; und da er sich nun einmal als Außenseiter fühlte, benahm er sich auch wie einer; dadurch wieder wuchs das Vorurteil gegen ihn und die feindselige Mißachtung, mit der man seiner körperlichen Unzulänglichkeit begegnete; und das alles führte endlich dazu, sein Gefühl der Fremdheit und Einsamkeit nur noch zu verstärken. Aus chronischer Angst, unterschätzt zu werden, mied er seinesgleichen; vor Untergebenen jedoch betonte er seine Würde. Mit welcher Bitterkeit im Herzen beneidete er Männer wie Henry Päppler und Benito Hoover! Männer, die einen Epsilon nicht anzuschnauzen brauchten, damit er gehorchte, Männer, die ihre Stellung im Leben für selbstverständlich hielten und sich im Kastensystem bewegten wie der Fisch im Wasser, sich darin so ganz und gar zu Hause fühlten, daß sie weder ihrer selbst noch des angenehmen, freundlichen Elements, worin sie lebten, bewußt waren. Träge und, wie ihm schien, widerwillig rollten die Deltazwillinge das Flugzeug aufs Dach hinaus.
    »Na, wird's bald!« rief Sigmund gereizt. Einer der beiden sah ihn an. Täuschte er sich, oder lag viehischer Hohn in diesen stumpfen grauen Augen? »Vorwärts, beeilt euch!« rief er lauter, mit einem häßlichen Krächzen in der Stimme.
    Er stieg in das Flugzeug; eine Minute später flog er nordostwärts.
    Die verschiedenen Propagandabüros und die Hochschule für Emotionstechnik befanden sich in ein und demselben sechzig Stockwerke hohen Gebäude in der Kochstraße. Im Erdgeschoß und in den unteren Etagen lagen die Druckereien und Redaktionen der drei großen Berliner Tageszeitungen: des perlgrauen »Stündlichen Funk-Anzeigers« für die besseren Kasten, der »Grünen Gamma-Post« und des auf Khakipapier in lauter Hauptsätzen gedruckten »Kleinen Delta-Blatts«. In den darüberliegenden zweiundzwanzig Stockwerken waren die Büros für Fernseh-, Fühlfilm-, Synthetovox- und Synthetofonpropaganda untergebracht. Über ihnen lagen die Versuchslabors und die schalldichten Räume, in denen die Filmmusik und die Synthetokomponisten ihre heikle Arbeit verrichteten. In den obersten achtzehn Stockwerken befand sich die Hochschule.
    Sigmund landete auf dem Dach des Propagandapalastes und stieg aus.
    »Sagen Sie Herrn Helmholtz Holmes-Watson, daß Herr Sigmund Marx ihn auf dem Dach erwartet!« befahl er dem gamma-plus Portier.
    Er setzte sich und zündete sich eine Zigarette an.
    Helmholtz Holmes-Watson schrieb gerade, als ihn der Anruf erreichte. »Sagen Sie, ich komme gleich!« antwortete er und legte auf. »Räumen Sie bitte diese Sachen da weg!« wandte er sich im gleichen unpersönlichen Ton zu seiner Sekretärin, schenkte ihrem strahlenden Lächeln keinen einzigen Blick und verließ rasch das Zimmer.
    Er war ein kräftig gebauter Mann mit mächtigem Brustkorb und breiten Schultern; schwer, aber flink, federnd und gelenkig. Auf dem wohlgerundeten, festen Pfeiler seines Halses saß ein schön geformter Kopf. Sein dunkles Haar krauste sich, seine Züge waren markant. Eine Art überbetonter kraftvoller Schönheit war ihm eigen; man sah sogleich: jeder Zoll ein Alpha-plus - wie seine Sekretärin zu wiederholen nie müde wurde. Er war Dozent am Lehrstuhl für Schriftsteller und arbeitete in seiner Freizeit als Gefühlsingenieur. Er schrieb regelmäßig für den »Stündlichen Funk-Anzeiger«, verfaßte Fühlfilmdrehbücher und besaß ein begnadetes Talent für Merksprüche und Schlafschulverse.
    »Begabt«, urteilten seine Vorgesetzten über ihn. »Vielleicht«, sie schüttelten dabei den Kopf und dämpften bedeutsam die Stimme, »vielleicht ein bißchen zu begabt.«
    Jawohl, ein bißchen zu begabt; sie hatten recht. Eine geistige Überentwicklung hatte bei Helmholtz Holmes-Watson ganz ähnliche Folgen wie die körperliche Unterentwicklung bei Sigmund Marx. Zu kleine Knochen und Muskeln hatten Sigmund von seinen Mitmenschen getrennt, und die Erkenntnis seiner Besonderheit, die

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