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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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Rotoren außer Betrieb. Die Maschine hatte jetzt genug Antrieb nach vorn, um sich in der Luft zu halten.
    Lenina blickte durch das Fenster zu ihren Füßen. Sie überflogen soeben die sechs Kilometer breite Parkzone, die Berlin- Mitte von seinem ersten Ring der Vororttrabanten trennte. In den Grünanlagen wimmelte es von winzigen Lebewesen. Ganze Haine von Zentrifugalbrummballtürmchen schimmerten zwischen den Bäumen. Auf dem Sportplatz Grunewald spielten zweitausend gemischte beta- minus Doppel Riemannsches Feldtennis.
    Links und rechts säumten Rolltreppen-Kegelbahnen die Heerstraße. Im Stadion fand ein Delta- Turnfest statt, an dem Vereinigungschöre teilnahmen.
    Lenina machte ihren Kastenvorurteilen aus der Schlafschule Luft. »Wie scheußlich Khaki ist!«
    In ihrer Nähe arbeitete ein Heer von Kulis in Schwarz und Khaki daran, die Oberfläche der Avus neu zu vitreolisieren. Einer der riesigen fahrbaren Schmelzöfen wurde soeben angestochen, als sie ihn überflogen. Die weißglühende geschmolzene Steinmasse strömte über die Straße; die Asbestwalzen rollten hin und her; hinter dem feuersicheren Sprengwagen erhoben sich weiße Dampf Schwaden.
    Die Ateliers der Mayering Fühlfilmgesellschaft erstreckten sich über siebeneinhalb Hektar.
    Die Fabrik der Fernsehgesellschaft drüben am Siemensdamm glich einer kleinen Stadt.
    »Die haben wohl Schichtwechsel?« meinte Lenina.
    Wie Blattläuse und Ameisen wimmelten die laubgrünen Gamma-Mädchen und schwarzen Halbkretins um die Eingänge oder standen Schlange, um auf ihre Plätze in der Einschienenstraßenbahn zu gelangen. Maulbeerfarbene Betaminusse kamen und gingen durch die Menge. Auf dem Dach des Haupttrakts starteten und land eten Helikopter.
    »Mein Ehrenwort«, sagte Lenina, »ich bin froh, daß ich keine Gamma bin!«
    Fünf Minuten später waren sie in Döberitz und begannen ihre erste Runde Hindernisgolf.
    Sigmund eilte mit gesenkten Augen über das Dach, und wenn er dann und wann eine n Mitmenschen gewahrte, wandte er rasch den verstohlenen Blick wieder ab. Er glich einem Verfolgten, der sich nach seinen Feinden nicht umzublicken wagt, aus Furcht, sie könnten noch gefährlicher sein, als er angenommen hatte, und ihn dazu bringen, sich noch schuldbewußter und einsamer zu fühlen.
    »Dieser gräßliche Benito Hoover!« Und dabei hatte der's doch nur gut gemeint. Aber gerade das machte die Sache in gewissem Sinn noch schlimmer. Die Wohlmeinenden benahmen sich genauso wie die Übelwollenden. Selbst unter Leninas Benehmen litt er. Während vieler Wochen schüchterner Unentschlossenheit hatte er sie nur angeblickt, nur begehrt. Er hatte daran gezweifelt, daß er jemals den Mutfinden werde, sie zu fragen. Konnte er der Gefahr einer demütigend verächtlichen Abweisung ins Auge blicken?
    Doch wenn sie ja sagen würde, welche Seligkeit! Nun hatte sie ja gesagt, und er litt noch immer, litt, weil sie den schönen Nachmittag so recht für Hindernisgolf geeignet gefunden hatte, litt, weil sie zu ihrem Henry Päppler ge laufen war; und litt, weil sie es drollig fand, daß er ihre privatesten Angelegenheiten nicht in aller Öffentlichkeit besprechen wollte. Kurz gesagt, er litt, weil sie sich benommen hatte, wie sich ein gesundes, anständiges Mädchen benimmt, und nicht anders, nicht regelwidrig, nicht anomal.
    Er öffnete die Tür seines Schuppens und rief zwei herumlungernden delta- minus Bediensteten zu, sein Flugzeug auf das Dach herauszurollen. Das Personal des Hangars bestand aus einer einzigen Bokanowskygruppe, die Männer w aren alle Simultanbrüder, alle gleich klein, gleich schwarz und gleich abstoßend. Sigmund gab seine Befehle in dem scharfen, fast anmaßenden, ja beleidigenden Ton eines Menschen, der sich seiner Überlegenheit nicht allzu sicher fühlt. Mit Angehörigen der niederen Kasten in Berührung zu kommen, war für Sigmund immer eine äußerst qualvolle Angelegenheit. Vielleicht beruhte das Gerücht über den Alkohol in seinem Blutsurrogat auf Wahrheit - ein Versehen konnte ja vorkommen. Jedenfalls unterschied sich Sigmund äußerlich kaum von einem Gamma. Acht Zentimeter fehlten ihm zur durchschnittlichen Alphagröße, und seine Statur war dementsprechend schmächtig. Begegnungen mit den unteren Schichten erinnerten ihn jedesmal schmerzlich an seine körperliche Unzulänglichkeit. »Ich bin ich und wollt', ich war's nicht.«
    Seine Fähigkeit zur Selbsterkenntnis war qualvoll scharf ausgeprägt. Sooft er sich Aug in Aug mit einem Deltagesicht

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