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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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»Dann bringen Sie ihn vor.«
    »Gern! Aber er ist auf dem Korridor, der Grund. Einen Augenblick!« Sigmund lief zur Tür und riß sie auf.
    »Bitte hereinkommen«, rief er, und der Grund kam herein, für jedermann sichtbar. Alles riß den Mund auf; ein Murmeln des Staunens und der Abscheu; ein Mädchen kreischte; jemand, der auf einem Stuhl stand, um besser sehen zu können, warf zwei Röhrchen mit Spermatozoen um. Schlaff und schwammig wälzte sich Filine in den Saal; ein fremdartiges, erschreckendes alterndes Ungetüm zwischen den straffen jugendlichen Gestalten mit ihren glatten Gesichtern; lächelte kokett ihr verzerrtes, farbloses Lächeln und wackelte beim Gehen, wie sie glaubte, verführerisch mit den ungeheuren Hüften. Neben ihr schritt Sigmund.
    »Dort steht er«, sagte er und deutete auf den Direktor.
    »Glauben Sie etwa, daß ich ihn nicht sofort wiedererkannt habe?« fragte Filine entrüstet. Dann wandte sie sich zum Direktor: »Natürlich hab ich dich gleich erkannt, Tomakin. Ich hätte dich überall, unter Tausenden, herausgefunden. Aber du hast mich vielleicht vergessen. Erinnerst du dich? Erinnerst du dich an deine Filine, Tomakin?« Da stand sie, den Blick auf ihn geheftet, den Kopf zur Seitegeneigt, und lächelte noch, aber vor dem versteinerten Ekel im Gesicht des Direktors wurde ihr Lächeln immer verzagter, flackerte und erlosch zuletzt. »Erinnerst du dich denn nicht, Tomakin?« wiederholte sie mit bebender Stimme, tödliche Angst im Blick. Das fleckige, schlaffe Gesicht verzerrte sich zu einer grotesken Maske tiefsten Jammers.
    »Tomakin!« Sie breitete die Arme aus. Jemand kicherte.
    »Was bedeutet -«, begann der Direktor, »- dieser unerhörte -«
    »Tomakin!« Sie stürzte sich auf ihn, ihren Umhang nachschleifend, schlang die Arme um seinen Hals und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.
    Das Lachen ließ sich nicht mehr unterdrücken, alles johlte.»-dieser unerhörte Unfug?« brüllte der Direktor.
    Kot im Gesicht, suchte er sich aus ihrer Umschlingung zu befreien. Verzweifelt klammerte sie sich an ihn. »Ich bin doch Filine, deine Filine!« Ihre Stimme ging im Gelächter unter. »Ich habe ein Kind von dir!« überschrie sie den Lärm. Alles verstummte plötzlich erschrocken, die Augen irrten unbehaglich umher, unschlüssig, wohin sie blicken sollten. Der Direktor wurde auf einmal bleich, gab den Kampf auf und starrte, noch immer ihre Handgelenke gepackt haltend, voll Grauen auf sie nieder. »Ja, ein Kind und ich bin seine Mutter!«
    Herausfordernd schleuderte sie das unflätige Wort in das betroffene Schweigen. Und plötzlich riß sie sich in tiefster Scham von ihm los, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte: »Es war nicht meine Schuld, Tomakin. Ich hab doch immer brav den Drill mitgemacht, nicht wahr, nicht wahr? Immer... Ich weiß nicht, wieso - Tomakin, wenn du wüßtest, wie furchtbar - Aber er war doch ein großer Trost für mich - letzten Endes. - Michel!« rief sie zur Tür hinaus. »Michel!«
    Er trat ein, sah sich auf der Schwelle einen Augenblick zögernd um, dann durcheilte er in seinen Mokassins lautlos den Saal, fiel vor dem Direktor auf die Knie und sagte mit klarer Stimme: »Mein Vater!«Dieses Wort, das nicht in direktem Zusammenhang mit der Ekelhaftigkeit und Verwerflichkeit des Kindergebärens stand, dieses Wort, das, mehr derb als schlüpfrig, eher eine skatologische als eine pornographische Zote war, dieses nur komisch unanständige Wort löste die unerträglich gewordene Spannung. Endloses, nahezu hysterisches Gelächter stieg, Salve nach Salve, zur Decke empor. Mein Vater - der BUND! Mein Vater, o Ford, o Ford! Er war einfach unbezahlbar. Das Wiehern und Brüllen brach immer wieder los, die Gesichter schienen zu zerrinnen, Lachtränen standen in aller Augen. Noch sechs weitere Spermatozoenröhrchen gingen in Scherben. Mein Vater!
    Bleich und verstört starrte der Direktor auf Michel, fassungslos in seiner Demütigung.
    Mein Vater! Das Gelächter, das schon nachlassen wollte, schwoll von neuem an, lauter als zuvor. Er hielt sich die Ohren zu und stürzte aus dem Saal.

Elftes Kapitel
    Nach dem Auftritt im Befruchtungssaal waren die ganzen besseren Kasten Berlins wie verrückt darauf, den entzückenden Kerl kennenzulernen, der vor dem Brut- und Normdirektor - oder vielmehr: vor dem ehemaligen Direktor, denn der Arme hatte sogleich sein Amt niedergelegt und nie wieder einen Fuß in die Zentrale gesetzt - auf dem Boden umhergerutscht war und ihn - der Witz war

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