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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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fast zu gut, um wahr zu sein! - mit »Mein Vater« angesprochen hatte. Filine dagegen machte keine Furore, niemand hatte auch nur das leiseste Verlangen nach ihrem Anblick.
    Sich Mutter zu nennen, das hieß, den Spaß zu weit treiben, das war einfach ungehörig! Außerdem war sie gar keine waschechte Wilde, sondern in der Flasche ausgebrütet und genormt worden wie alle Welt; also konnte sie gar nicht so absonderlich sein. Der entscheidendste Grund aber, weshalb man die arme Filine nicht zu sehen begehrte, war ihr Äußeres. Dick, verblüht, mit schlechten Zähnen, mit Flecken im Gesicht und mit dieser Figur - großer Ford, es wurde einem übel von dem Anblick, sterbensübel! Die besten Kreise waren entschlossen, sich Filine nicht anzusehen. Und Filine hatte ihrerseits kein Verlangen nach ihnen. Rückkehr zur Zivilisation, das war für sie die Rückkehr zum Soma, das war die Möglichkeit, im Bett zu bleiben und einen Urlaub von der Wirklichkeit nach dem anderen zu nehmen, ohne jemals mit Kopfschmerzen oder Brechreiz zu erwachen, ohne das Gefühl, das sich nach dem Peyotl regelmäßig einstellte, man habe etwas so schändlich Unsoziales getan, daß man niemandem mehr in die Augen blicken konnte. Soma spielte einem keinen dieser unangenehmen Streiche. Der Urlaub, den es gewährte, war vollkommen, und wenn das Nachher manchmal unangenehm war, so lag das nicht am Soma, sondern an der Realität, die im Gegensatz zur Seligkeit des Urlaub s stand. Das beste Mittel dagegen war, den Urlaub nie zu unterbrechen. Gierig verlangte sie immer häufiger immer größere Mengen. Dr. Shaw erhob anfangs Einwände, dann ließ er ihr den Willen. Sie nahm bis zu zwanzig Gramm am Tag.
    »Das wird ihr in ein, zwei Monaten den Garaus machen«, vertraute der Arzt Sigmund an. »Eines Tages ist das Atemzentrum gelähmt. Keine Luft mehr. Aus. Und gut so!
    Ja, wenn wir die Menschen verjüngen könnten, läge die Sache anders. Aber das können wir nun einmal nicht.«
    Zur allgemeinen Überraschung - denn Filine war durch ihre Somaurlaube doch so bequem aus dem Weg geräumt! - erhob Michel Einspruch.
    »Verkürzen Sie denn nicht ihr Leben durch solche Mengen?«
    »In gewissem Sinn allerdings«, gab Dr. Shaw zu. »In anderem Sinn verlängern wir es geradezu.« Verständnislos starrte ihn der junge Mann an.
    »Soma nimmt dem Menschen vielleicht ein paar Jahre Lebenszeit«, erläuterte der Arzt. »Aber bedenken Sie, welche unermeßlichen Zeitlosigkeiten es spendet. Jeder Somaurlaub ist ein Stückchen von dem, was unsere Vorfahren Ewigkeit nannten.«
    Michel begann zu begreifen. »In unserm Mund und Blick lag Ewigkeit«, murmelte er.
    »Wie bitte?«
    »Ach, nichts.«
    »Selbstverständlich«, fuhr Dr. Shaw fort, »kann man die Leute nicht so mir nichts, dir nichts sich in die Ewigkeit verdrücken lassen, wenn sie ernsthafte Arbeit zu leisten haben. Aber sie hat doch keine wichtigen Aufgaben...«
    »Trotzdem«, beharrte Michel, »trotzdem halte ich es nicht für richtig.«
    Der Arzt zuckte die Achseln. »Na schön, wenn es Ihnen lieber ist, daß sie fortwährend schreit wie eine Wahnsinnige...«
    Zuletzt mußte Michel nachgeben. Filine bekam ihr Soma. Von nun ab verließ sie ihr Bett in einem Zimmerchen des sechsunddreißigsten Stockwerks von Sigmunds Wohnbau nicht mehr; Radio und Fernsehapparat waren immer eingeschaltet, der Patschuli- Leitungshahn tröpfelte, und die Somatabletten lagen stets in Reichweite.
    Hier blieb sie; und doch war sie nicht da, sondern die ganze Zeit weg, unendlich weit weg, auf Urlaub in einer anderen Welt, in der die Radiomusik zum Labyrinth melodischer Farben wurde, zum gleitenden, wogenden Labyrinth, das in prächtigen Windungen unvermeidlich zu einem strahlenden Mittelpunkt unbedingter Überzeugung führte; auf Urlaub in einer Welt, in der die tanzenden Bilder des Fernsehapparats sich zu Bildern eines unbeschreiblich schönen Hör- und Fühlfilms fügten; einer Welt, in der Patschuli mehr als nur ein Duft war - es war auch die Sonne und Millionen Sexophone und Popes Liebeskunst, nur unbeschreiblich intensiver und ohne jedes Ende.
    »Nein, verjüngen können wir nicht. Aber es hat mich sehr gefreut«, schloß Dr. Shaw, »daß ich Gelegenheit hatte, diesen seltenen Fall menschlichen Alterns zu sehen.
    Vielen Dank, daß Sie mich rufen ließen!« Er schüttelte Sigmund herzlich die Hand.
    Nur hinter Michel also waren sie alle her. Und da an Michel nur auf dem Umweg über Sigmund, seinen erklärten Wächter, heranzukommen war,

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