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Schöne neue Welt

Schöne neue Welt

Titel: Schöne neue Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aldous Huxley
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sah sich Sigmund zum ersten Mal in seinem Leben nicht nur für voll genommen, sondern als Persönlichkeit von ungemeiner Wichtigkeit behandelt. Kein Wort wurde mehr über den Alkohol in seinem Blutsurrogat laut, kein Spott über sein Äußeres. Henry Päppler bemühte sich krampfhaft, liebenswürdig zu sein; Benito Hoover verehrte ihm sechs Päckchen Sexualhormonkaugummi; der Prädestinationsassistent kam und bat fast unterwürfig um eine Einladung zu einer von Sigmunds Abendgesellschaften. Und erst die Frauen: Sigmund brauchte nur auf die Möglichkeit einer Einladung anzuspielen, und schon konnte er jede haben, die er wollte.
    »Sigmund hat mich für nächsten Mittwoch eingeladen, den Wilden zu sehen«, erklärte Stinni triumphierend.
    »Wie mich das freut!« antwortete Lenina. »Aber jetzt wirst du doch zugeben, daß du Sigmund falsch beurteilt hast. Findest du nicht, daß er wirklich ganz süß ist?«
    Stinni nickte. »Und ich muß sagen«, setzte sie hinzu, »ich war sehr angenehm überrascht.«
    Der Obereinfüller, der Leiter der Prädestinationsabteilung, drei stellvertretende Assistenten des Generalbefruchters, der Ordinarius für Fühlfilmkonstruktion an der Hochschule für Emotionstechnik, der Dechant der Vereinigungssinghalle Am Knie, der Bokanowskysierungsinspektor - Sigmunds Besucherliste von Prominenten wurde immer länger.
    »Und in der vergangenen Woche hatte ich sechs Mädchen«, vertraute er Helmholtz an. »Eine Montag, zwei Dienstag, zwei Freitag und eine am Sonnabend. Wenn ich Zeit oder Lust gehabt hätte, wären mindestens noch zwölf gekommen, die nur zu gern...«
    Helmholtz lauschte mit so finsterer Mißbilligung, daß Sigmund gekränkt war.
    »Du bist neidisch«, sagte er.
    Helmholtz schüttelte den Kopf. »Nur traurig, sonst nichts.«
    Sigmund verließ ihn, ohne ihm noch einen Blick zu schenken. Nie wieder, nahm er sich vor, nie wieder wollte er mit Helmholtz sprechen.
    Die Tage vergingen. Sein Erfolg stieg Sigmund prickelnd zu Kopf und versöhnte ihn, wie das jedes gute Rauschmittel sollte, mit der Welt, die er bisher so unbefriedigend gefunden hatte. Solange ihn die Welt als wichtige Persönlichkeit gelten ließ, war an der Ordnung der Dinge nichts auszusetzen. Aber wenngleich der Erfolg ihn versöhnlich stimmte, verzichtete er doch nicht auf das Vorrecht, diese Weltordnung zu bekritteln; denn das Kritteln gab ihm ein erhöhtes Gefühl seiner Wichtigkeit und Überlegenheit. Überdies glaubte er aufrichtig, daß es viel an ihr zu tadeln gab, freute sich aber ebenso aufrichtig, Erfolg und alle Frauen zu haben, die er haben wollte. Vor Leuten, die des Wilden wegen um ihn scharwenzelten, entfaltete er eine mäklerische Eigenwilligkeit. Man hörte ihm höflich zu. Aber hinter seinem Rücken schüttelte man den Kopf. »Dieser junge Mann wird noch ein böses Ende nehmen«, sagten die Leute, und sie konnten das mit um so größerer Sicherheit prophezeien, als sie selbst zur rechten Zeit dazu beizutragen gedachten, dieses Ende böse zu gestalten. »Ein zweiter Wilder wird ihm nicht helfen«, hieß es. Vorläufig war jedoch der erste Wilde da, und das zwang sie zur Höflichkeit. Und infolge ihrer Höflichkeit fühlte sich Sigmund als wahrer Riese - riesenhaft und zugleich erhoben, unbeschwert, leichter als Luft.
    »Leichter als Luft«, erklärte Sigmund und deutete gen Himmel. Gleich einer Perle schimmerte im Blau, hoch über ihren Häuptern, der Fesselballon der Wetterzentrale rosig im Sonnenschein.
    »- besagtem Wilden« - so lauteten Sigmunds Instruktionen - »das zivilisierte Leben von allen Seiten zu zeigen -«
    Man zeigte es ihm soeben aus der Vogelperspektive von der Plattform des Tempelhofer Flugturms. Der Turmwart und der Obermeteorologe dienten als Führer. Aber das meiste Reden besorgte Sigmund. In seinem Erfolgsrausch benahm er sich fast wie ein Weltaufsichtsrat auf Inspektionsreise.
    Leichter als Luft.
    Die Grüne Bombayrakete sauste aus den Wolken nieder. Die Fahrgäste stiegen aus. Acht identische Drawidas in Khaki guckten aus den acht Fenstern der Kabine die Stewards. »Zwölfhundertfünfzig Ka-Em Stundengeschwindigkeit«, erklärte der Flugturmwart eindrucksvoll. »Wie finden Sie das, Herr Wilder?«
    Michel fand es recht nett. »Allerdings«, sagte er, »Arieltrank im Flug die Luft und war zurück, eh zweimal Euer Puls schlug.«
    »Der Wilde«, meldete Sigmund in seinem Bericht an Mustafa Mannesmann, »zeigt auffallend wenig Staunen oder Ehrfurcht angesichts der Errungenschaften der

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