Schöne Ruinen
erloschen die Lichter, und sie versanken in ihren Sitzen.
L.E. Steve beugte sich vor und flüsterte: »Du bist anders als in der Schule.«
»Wie bin ich in der Schule?«
»Ehrlich gesagt, irgendwie unheimlich.«
Sie lachte. »Irgendwie unheimlich?«
»Nein, irgendwie stimmt nicht. Richtig unheimlich. Total beängstigend.«
» Ich bin beängstigend?«
»Ja, ich meine … schau dich doch an. Du hast dich doch schon mal im Spiegel gesehen, oder?«
Die Fortsetzung dieses Gesprächs wurde ihr durch die Vorschau auf die Neuheiten erspart. Danach lehnte sie sich in freudiger Erwartung vor, wie immer, wenn ein Film mit ihm anfing. Dieser begann mit einem Brei aus Feuer, Heuschrecken und Teufeln, und als er schließlich auftrat, war sie zugleich aufgeregt und traurig. Sein Gesicht war grauer, aufgedunsener, und seine Augen, deren Nachhall sie jeden Tag zu Hause erblickte, waren wie ausgebrannte Glühbirnen, in denen nur noch ein schwacher Funke lebte.
Der Film vollzog den Übergang von dumm zu lächerlich zu unverständlich, und sie fragte sich, ob jemand, der den ersten Teil gesehen hatte, vielleicht mehr damit anfangen konnte. (Pat hatte sich in ein Kino geschlichen und ihn als »köstlich« bezeichnet.) Es ging um eine Art Hypnosemaschine aus Frankensteindrähten und Saugglocken, die es zwei oder drei Menschen ermöglichte, den gleichen Traum zu haben. Wenn er nicht im Bild war, versuchte sie sich auf die anderen Schauspieler zu konzentrieren, um zu sehen, wie sie agierten und was sie konnten. Auch ihren Schülern schärfte sie immer ein, darauf zu achten, welche Entscheidungen die Schauspieler trafen. Manchmal stellte sie sich bei seinen Filmen vor, wie sie eine bestimmte Szene als sein Gegenüber gespielt hätte. Louise Fletcher war in diesem Film, und Debra bewunderte ihre mühelose Versiertheit. Überhaupt hatte Louise Fletcher eine interessante Karriere hinter sich. So eine Karriere hätte Dee auch machen können – vielleicht.
»Wenn du willst, können wir gehen«, flüsterte L.E. Steve.
»Was? Nein. Warum denn?«
»Du lachst dauernd so spöttisch.«
»Wirklich? Entschuldigung.«
Den Rest des Films saß sie ruhig da, die Hände im Schoß, und verfolgte, wie er sich abmühte, diesem lächerlichen Schund etwas abzugewinnen. Manchmal blitzte seine alte Kraft auf, und das leichte Trällern in seiner weichen Stimme überwand die versoffene Diktion.
Als sie zum Auto gingen, waren sie einsilbig. (Steve: Das war … interessant. Debra: Mm. ) Auf dem Heimweg starrte sie gedankenverloren aus dem Fenster. Sie ließ das Gespräch mit Pat an sich vorüberziehen und fragte sich, ob sie nicht eine große Chance vertan hatte. Und wenn sie einfach bekannt hätte: Ach, übrigens, ich schau mir gleich einen Film an, in dem dein wirklicher Vater mitspielt ? Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, wie diese Information Pat helfen sollte. Was konnte er denn damit anfangen? Sollte er vielleicht mit Richard Burton Fangen spielen?
»Ich hoffe, du hast diesen Film nicht absichtlich ausgesucht«, sagte L.E. Steve.
»Was?« Sie wand sich herum. »Pardon?«
»Na ja, es ist einfach schwierig, dich nach so einem Film um eine zweite Verabredung zu bitten. Das ist fast, als würde ich dich nach dem Untergang der Titanic wieder zu einer Kreuzfahrt einladen.«
Sie lachte, aber es klang hohl. Sie machte sich vor, wegen Pat zu all seinen Filmen zu gehen und seine Karriere im Auge zu behalten – falls irgendwann der Tag kam, an dem sie es ihm erzählte. Aber sie wusste, dass sie es ihm nie erzählen konnte.
Also war nicht Pat der Grund, weshalb sie diese Filme besuchte und weshalb sie wie eine Spionin seine Selbstzerstörung beobachtete und statt von Liz Taylor von Nebendarstellerinnen wie Louise Fletcher träumte? Allerdings drehte es sich nie um sie , nie um Debra Moore, die Schauspiel- und Italienischlehrerin, sondern um die Frau, die sie vor vielen Jahren hatte erschaffen wollen, um Dee Moray. Als hätte sie sich in zwei Teile gespalten: Debra, die nach Seattle zurückkehrte, und Dee, die in dem winzigen Hotel an der italienischen Küste erwachte und den süßen, schüchternen Pasquale dazu brachte, sie in die Schweiz zu bringen, damit sie dort ihr Kind der Karriere opferte, wie es von ihr erwartet wurde – und es war genau diese Karriere, der sie in ihren Fantasien noch immer nachhing: Nach sechsundzwanzig Filmen und zahllosen Theaterstücken wurde die erfahrene Schauspielerin endlich als beste Nebendarstellerin
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