Schöne Ruinen
musste er sie davon in Kenntnis setzen, dass ihr Sohn getrunken und Drogen genommen hatte. Im Auto waren eine Flasche Wodka und Reste von Kokain auf einem Handspiegel sichergestellt worden. Ihn erwartete eine Vorladung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, wegen Gefährdung des Straßenverkehrs, wegen Fahrens unter Alkohol- und Drogeneinfluss und wegen Drogenbesitzes. Kokain? Sie war nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte, doch sie nickte zu allen Vorwürfen. Was hätte sie sonst auch tun sollen? Angesichts der schweren Beschuldigungen wurde die Sache an den Jugendstaatsanwalt weitergeleitet, der über das weitere Vorgehen zu befinden hatte –
Moment. Kokain? Wo hatte er das denn her? Und was meinte L.E. Steve damit, dass sie die Menschen nicht an sich heranließ? Liebend gern würde sie jemanden an sich heranlassen. Nein, viel wichtiger war, dass sie aus sich herausging! Und Mona? Lass dir diesen Quatsch nicht gefallen? Mein Gott, dachten die Leute vielleicht, dass sie es sich so ausgesucht hatte? Dass sie sich ausgesucht hatte, wie Pat sich benahm? Mein Gott, wie schön wäre es, wenn sie sich Pats Quatsch einfach nicht mehr gefallen lassen müsste, wenn sie in der Zeit zurückreisen und ein anderes Leben führen könnte –
(Dee Moray rekelt sich auf einem Liegestuhl an der Riviera, zusammen mit ihrem gut aussehenden italienischen Begleiter Pasquale, und liest in Filmzeitschriften, bis Pasquale sie küsst und sich entfernt, um auf seinem über die Klippen ragenden Platz Tennis zu spielen – )
»Noch Fragen?«
»Hm? Entschuldigung.«
»Noch Fragen zu dem, was ich Ihnen gerade erklärt habe?«
»Nein.« Sie folgte dem dicken Polizisten hinaus auf den Gang.
»Das ist vielleicht nicht der richtige Anlass.« Im Gehen schaute er sich nach ihr um. »Aber mir ist aufgefallen, dass Sie keinen Ehering tragen. Da hab ich mir überlegt, ob Sie vielleicht mal Lust zu einem gemeinsamen Abendessen haben … die gesetzlichen Vorschriften können wirklich verwirrend sein, und es wäre vielleicht eine Hilfe, wenn …«
(Der Hotelportier bringt ein Telefon zum Strand. Dee Moray nimmt ihren Sonnenhut ab und legt es ans Ohr. Es ist Dick! Hallo Liebes, sagt er, du bist bestimmt genauso schön wie eh und je –)
Der Beamte drehte sich um und reichte ihr eine Karte mit seiner Telefonnummer. »Im Moment ist es sicher schwierig, aber vielleicht möchten Sie ja mal ausgehen.«
Sie starrte die Karte an.
(Dee Moray seufzt: Ich hab Der Erxorzist gesehen, Dick. O je, antwortet er, diesen Mist? Du weißt, wie du einem zusetzen kannst. Nein, erklärt sie sanft, aber es ist nicht gerade Der Barde . Dick lacht. Hör mal, Liebling, ich hätte da dieses Stück, das wir zusammen machen könnten –)
Der Polizist öffnete die Tür. Nach einem tiefen, schweren Atemzug folgte ihm Debra hinein.
Pat saß auf einem Klappstuhl in einem leeren Raum, den Kopf in den Händen, die Finger vergraben in seinem welligen braunen Haar. Dann schob er es sich aus dem Gesicht und blickte zu ihr auf. Diese Augen. Niemand begriff, wie sehr Pat und sie miteinander verstrickt waren. Wir stecken rettungslos fest, dachte Debra. Er hatte eine kleine Abschürfung an der Stirn, fast als wäre er über einen Teppich geschlittert. Ansonsten sah er blendend aus. Unwiderstehlich – der Sohn seines Vaters.
Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Hey.« Seine Lippen kräuselten sich zu diesem gerissenen Was-machst-du-denn-hier -Lächeln. »Und wie war deine Verabredung?«
14
Die Hexen von Porto Vergogna
April 1962
Porto Vergogna, Italien
A m nächsten Tag schlief Pasquale bis weit in den Vormittag. Als er endlich erwachte, hatte die Sonne bereits die Klippen hinter dem Dorf erklommen. Er stieg die Treppe zum zweiten Stock und dem dunklen Zimmer hinauf, wo Dee Moray gewohnt hatte. War sie tatsächlich vor Kurzem noch hier gewesen? War er tatsächlich erst gestern mit diesem Irren Richard Burton aus Rom weggefahren? Es war ein Gefühl, als hätte sich die Zeit verschoben. Langsam sah er sich in dem kleinen Zimmer mit den Steinwänden um. Es gehörte jetzt ihr. Auch wenn andere Gäste kamen, es würde für immer Dee Morays Zimmer bleiben. Pasquale stieß die Fensterläden auf, und das Licht strömte herein. Er holte tief Atem, doch er roch nur Seeluft. Dann nahm er Alvis Benders unvollendetes Buch vom Nachttisch und blätterte durch die Seiten. Es konnte jetzt jeden Tag so weit sein, dass Alvis auftauchte, um weiter an seinem Roman zu schreiben. Doch das
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