Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
Vom Netzwerk:
schon als er klein war, hatte sie sich wohl aus Einsamkeit viel zu sehr von seiner Frühreife bezaubern lassen.
    Pat legte seine Gitarre weg und stand auf. »Hey, das war nur ein Witz. Steve ist doch ein netter Kerl.« Er kam auf sie zu. »Na los. Hab Spaß. Sei glücklich.«
    Er war wirklich erwachsener geworden im letzten Jahr. In der Schule geriet er seltener in Schwierigkeiten, er schlich sich nicht mehr aus dem Haus, und er bekam auch bessere Noten. Aber seine Augen verunsicherten sie noch immer – nicht ihre Form oder Farbe, sondern etwas in seinem Blick, was die Leute ein Blitzen nannten, ein Funkeln, vor dem man auf der Hut sein musste: Pass auf, sonst erwischt es dich!
    »Willst du mich wirklich glücklich machen?« Debra sah ihn an. »Dann sei hier, wenn ich heimkomme.«
    »Abgemacht.« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Kann Benny rüberkommen zum Üben?«
    »Klar.« Sie drückte ihm die Hand. Benny war der Gitarrist, den Pat für seine Band gefunden hatte. Das war es, was Pat wieder auf die Spur gebracht hatte: seine Band, die Garys. Nach zwei Schulkonzerten und einem Bandwettbewerb im Seattle Center musste sie sogar zugeben, dass die Garys gar nicht schlecht waren. Eigentlich waren sie sogar ziemlich gut – nicht so punkig, wie sie befürchtet hatte, sondern eher dreckig und direkt (als sie sie mit den Stones aus der Zeit von Let it Bleed verglich, verdrehte Pat die Augen). Und ihr Sohn war eine Offenbarung auf der Bühne. Er sang, gurrte, knurrte und witzelte; er verströmte etwas von dort oben, von dem sie eigentlich nicht hätte überrascht sein dürfen: natürlichen Charme. Macht. Und seit es die Band gab, war Pat die Ausgeglichenheit in Person. Was sagte es über einen Jungen aus, wenn ihn die Gründung einer Rockband zur Ruhe brachte? Doch es war unbestreitbar: Er war konzentriert und engagiert. Nur seine Motivation machte ihr Sorgen: Er redete viel davon, groß rauszukommen und berühmt zu werden. Also hatte sie versucht, ihn aufzuklären über die Gefahren des Ruhms, aber weil sie nicht ins Detail gehen konnte, musste sie auf hohle, oberflächliche Floskeln zurückgreifen, um die Reinheit der Kunst zu beschwören und vor den Begleiterscheinungen des Erfolgs zu warnen. Sie befürchtete, dass ihre Vorträge reine Zeitverschwendung waren, als würde sie einem Verhungernden die Risiken der Fettleibigkeit vor Augen halten.
    »Ich bin in drei Stunden wieder da.« Eigentlich rechnete Debra mit fünf oder sechs Stunden, aber sie hatte die Gewohnheit, die Zeit zu halbieren, damit auch er sich nur halb so viele Scherereien einhandelte. »Bis dann, mach … ähm … mach nichts … äh …«
    Als sie nach dem richtigen Maß des Mahnens suchte, kippten Pats Augen leicht nach unten, ehe die Mundwinkel langsam zu einem Lächeln nach oben wanderten. »Stell nichts an, meinst du?«
    »Ja. Stell nichts an.«
    Er salutierte, setzte den Kopfhörer wieder auf, schnappte sich seine Gitarre und ließ sich aufs Bett plumpsen. »Hey«, rief er, als sie sich schon abwendete. »Lass dich von Steve nicht zum Seilspringen überreden. Er steht darauf, wenn’s wackelt.«
    Sie zog die Tür zu und machte einen Schritt auf den Flur, als ihr Blick auf die Pfeife in ihrer Hand fiel. Warum kramt er die Pfeife aus ihrem Versteck, wenn er gar kein Gras dafür hat? Und auf ihre Frage hin hatte Pat zunächst in der Schublade herumgekramt. Hätte sie nicht ganz oben liegen müssen, wenn er sie gerade erst hineingeworfen hatte? Sie machte kehrt und riss die Tür auf. Pat saß mit der Gitarre auf dem Bett, die Nachttischschublade stand wieder offen. Doch jetzt lag aufgeschlagen auf dem Bett der Gegenstand, den er wirk lich vor ihr verborgen hatte: sein Kompositionsheft. Mit einem Bleistift hatte er sich darübergebeugt. Mit rotem Gesicht und wütend fuhr er hoch. »Verdammt, was soll das, Mom?«
    Sie stakste hinüber und nahm das Notizbuch vom Bett. Sie wusste nicht, was sie erwartete, doch wie alle Eltern in so einem Fall malte sie sich schon das Schlimmste aus: Er schreibt Songs über Selbstmord! Über Drogenhandel! Hastig blätterte sie zu einer beliebigen Seite: Liedtext, spärliche Anmerkungen zur Melodie – Pat hatte nur rudimentäre Musikkenntnisse –, süße, gequälte Fragmente, wie sie jeder Fünfzehnjährige schreiben konnte, ein Liebeslied, »Hot Tanya« (holprig gereimt auf I want ya ), pseudobedeutungsvolles Zeug über the sun and the moon und eternity’s womb.
    Er streckte die Hand nach dem Heft aus. »Gib

Weitere Kostenlose Bücher