Schöne Ruinen
in mein Dorf, Porto Vergogna … nel …« Hilfe suchend wendet er sich Shane zu.
»1962?«, wiederholt Wheeler.
»Ja. Sie ist … schön. Und ich bin baue … eh … Strand, ja? Und Tennis?« Er reibt sich über die Stirn, wie um die Story zu fassen zu kriegen. »Sie ist … in dem Kino ?«
»Eine Schauspielerin?«, fragt Shane.
»Ja.« Nickend starrt Pasquale Tursi ins Leere.
Nachdem sie kurz auf die Uhr gesehen hat, unternimmt Claire noch einmal einen Versuch, den Pitch ins Rollen zu bringen. »Also … eine Schauspielerin kommt in ein Dorf, und sie verliebt sich in diesen Mann, der einen Strand baut?«
Pasquales Blick findet wieder zu Claire. »Nein. Nicht in mich … vielleicht, ja. È … l’attimo, ja?« Er schaut Shane an. »L’attimo che dura per sempre.«
»Der Augenblick, der ewig dauert«, übersetzt Shane leise.
»Ja.« Pasquale nickt. »Ewig.«
Claire fühlt sich bedrängt von den Worten Augenblick und ewig. Nicht zu vergleichen mit kfc und Hookbook. Plötzlich wird sie wütend – wütend auf ihren dummen Ehrgeiz und ihre unverbesserliche Romantik, auf ihren Geschmack bei Männern, auf die durchgeknallten Scientologen, auf ihren Vater, weil er sich diesen blöden Film angesehen hat und dann abgehauen ist, auf sich selbst, weil sie noch mal ins Studio zurückgekehrt ist und weil sie die Hoffnung einfach nicht aufgeben will. Und Michael: Michael mit seinem gottverdamm ten Job, seinen gottverdammten Visitenkarten, seinen gottver dammten verkrachten Freunden, seinen gottverdammten Gefällig keiten, die er den gottverdammten Leuten schuldet, die er gefickt hat, als er alles Fickbare gefickt hat.
Pasquale Tursi seufzt. »Sie war krank.«
Ungeduldig fährt Claire auf. »Was hat sie? Lupus? Schuppenflechte? Einen Tumor?«
Bei dem Wort Tumor blickt Pasqale plötzlich auf. »Sì. Ma non è così semplice …«
Da schaltet sich Shane ein. »Äh, Ms. Silver … Ich glaube, was der Mann hier erzählt, ist kein Pitch.« Sorgfältig die Worte wählend, redet er den Italiener an. »Questo è realmente accaduto? No in un film?«
Pasquale nickt. »Sì. Sono qui per trovarla.«
»Ja, das ist alles wirklich passiert«, erklärt Shane. Dann stellt er Pasquale wieder eine Frage. »Non l’ha più vista da allora?« Auf Pasquales Kopfnicken hin wendet Shane sich an Claire. »Er hat diese Schauspielerin seit fast fünfzig Jahren nicht mehr gesehen. Er ist hier, um sie zu finden.«
»Come si chiama?« Shane Wheelers Stimme bebt leise.
Der Blick des Italieners wandert von Claire zu Shane und wieder zurück. »Dee Moray.«
Claire fühlt ein Ziehen in der Brust, etwas verrutscht, und Sprünge entstehen in dem schwer erarbeiteten Zynismus, der ihre innere Anspannung überdeckt. Der Name der Schauspielerin sagt ihr nichts, doch der Alte scheint wie verwandelt, nachdem er ihn ausgesprochen hat, als hätte er ihn seit Jahren nicht mehr über die Lippen gebracht. Etwas an diesem Namen wirkt auch auf sie – die Ahnung eines romantischen Wiedererkennens, dazu diese Worte Augenblick und ewig –, als könnte sie in diesem einen Namen fünfzig Jahre Sehnsucht spüren , fünfzig Jahre eines Verlangens, das in ihr und vielleicht in jedem Menschen schlummert, bis es plötzlich aufgeweckt wird wie jetzt. So gewichtig ist dieser Moment, dass sie den Blick senken muss, wenn sie nicht will, dass ihr die Tränen in die Augen schießen, und als Claire zu Shane schielt, bemerkt sie, dass er ebenfalls spürt, wie dieser Name einen Moment lang in der Luft schwebt, zwischen ihnen dreien, und dann von Pasquale beobachtet zu Boden flattert wie ein fallendes Blatt, während Claire vermutet, hofft, betet, dass der alte Italiener den Namen noch einmal sagen wird, leiser diesmal, um seine Bedeutung zu unterstreichen, wie es so oft in Drehbüchern geschieht. Doch er tut es nicht. Er starrt nur auf den Boden, wo der Name gelandet ist, und Claire Silver begreift, dass sie zu viele gottverdammte Filme gesehen hat.
3
Das Hotel zur ausreichenden Aussicht
April 1962
Porto Vergogna, Italien
D en ganzen Tag wartete er darauf, dass sie herunterkam, doch sie verbrachte den ersten Nachmittag und Abend allein in ihrem Zimmer im zweiten Stock. Und so ging Pasquale seinen Geschäften nach, die ihm auf einmal gar nicht mehr wie Geschäfte erschienen, sondern wie das willkürliche Benehmen eines Verrückten. Aber weil er nicht wusste, was er sonst mit sich anfangen sollte, warf er Steine auf den Wellenbrecher in der Bucht, meißelte an seinem
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