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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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Anhänger des italienischen Neorealismus hielt er nichts von amerikanischen Filmen, in denen er den Vorboten der Commedia all’italiana sah, diese grotesken Komödien, die das ernste existenzialistische Kino der Fünfzigerjahre abgelöst hatten. »Hör zu, Lugo«, meinte er jetzt, »wenn sie eine amerikanische Schauspielerin ist, heißt das, dass sie in Cowboyfilmen ein Korsett trägt und nichts anderes kann als kreischen.«
    »Gut. Bestimmt kein schlechter Anblick, wenn sich diese Riesenbrüste beim Kreischen aufblähen«, antwortete Lugo.
    »Vielleicht legt sie sich morgen an Pasquales Strand«, warf Tomasso der Ältere ein, »dann können wir uns ihre Riesenbrüste ansehen.«
    Dreihundert Jahre lang waren die jungen Männer des Dorfs auf Fischfang gefahren, Väter hatten ihre Boote und schließlich ihre Häuser an ihre Lieblingssöhne, meist die Ältesten, vererbt, die die Töchter anderer Fischer an der Küste heirateten und sie manchmal mit zurück nach Porto Vergogna brachten. Kinder zogen weg, aber das Villaggio bewahrte stets eine Art Gleichgewicht, und die ungefähr zwanzig Häuser blieben voll. Doch als wie alles andere nach dem Krieg auch ihr Handwerk zur Industrie wurde, konnten die Familienfischer nicht mehr mit den großen Schleppnetzschiffen konkurrieren, die jede Woche in Genua ausliefen. Die Restaurants kauften weiterhin bei einigen wenigen Fischern, weil die Touristen gern dabei zusahen, wie die Alten ihren Fang anlieferten, doch das war fast wie eine Arbeit im Vergnügungspark: kein echtes Fischen mehr und ohne Zukunft. Eine ganze Generation von jungen Männern musste Porto Vergogna verlassen, um in La Spezia, Genua und noch ferneren Orten Arbeit in Fischfabriken und im Baugewerbe zu finden. Vorbei die Zeit, da der Lieblingssohn das Fischerboot des Vaters wollte; schon standen sechs Häuser leer, waren mit Brettern vernagelt oder sogar abgerissen worden, und es war nur eine Frage der Zeit, wann weitere folgten. Im Februar hatte die jüngste Tochter von Tomasso dem Kommunisten, die unglückseligerweise schielende Ilena, einen jungen Lehrer geheiratet und war nach La Spezia gezogen, und Tomasso war mehrere Tage mit griesgrämigem Gesicht herumgelaufen. Und als Pasquale an einem kühlen Frühlingsmorgen beobachtete, wie die alten Fischer murrend zu ihren Booten schlurften, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Er war der einzige Mensch unter vierzig im ganzen Dorf.
    Pasquale verabschiedete sich von den Fischern in der Trattoria, um nach seiner Mutter zu sehen, die gerade eine ihrer düsteren Phasen durchmachte und sich seit zwei Wochen weigerte, das Bett zu verlassen. Als er die Tür öffnete, starrte sie an die Decke. Ihr drahtiges graues Haar klebte hinter ihr auf dem Kissen, sie hatte die Arme über der Brust verschränkt und den Mund zu dem friedlichen Totenausdruck verzogen, den sie gern übte. »Steh doch auf, Mamma. Komm rüber und iss mit uns.«
    »Heute nicht, Pasqua«, krächzte sie. »Heute sterbe ich hoffentlich.« Nach einem tiefen Atemzug öffnete sie ein Auge. »Valeria sagt, es ist ein amerikanischer Gast im Hotel.«
    »Ja, Mamma.« Er prüfte ihre wunden Stellen, aber seine Tante hatte sie schon eingepudert.
    »Eine Frau?«
    »Ja, Mamma.«
    »Dann sind endlich die Amerikaner deines Vaters da.« Sie schaute hinüber zum abgedunkelten Fenster. »Er hat immer gesagt, dass sie irgendwann kommen, und jetzt sind sie hier. Du solltest diese Frau heiraten und nach Amerika gehen, damit du einen richtigen Tennisplatz bauen kannst.«
    »Nein, Mamma. Du weißt, ich würde dich nie …«
    »Geh, bevor dich dieser Ort umbringt, wie er deinen Vater umgebracht hat.«
    »Ich werde dich nicht verlassen.«
    »Mach dir keine Sorgen um mich. Ich muss sowieso bald sterben, dann bin ich wieder mit deinem Vater und deinen armen Brüdern vereint.«
    »Du musst noch nicht sterben«, antwortete Pasquale.
    »Innerlich bin ich doch schon tot«, ächzte sie. »Du solltest mich ins Meer werfen und ertränken wie deine alte, kranke Katze.«
    Pasquale fuhr auf. »Du hast mir erzählt, die Katze ist weggelaufen. Als ich an der Universität war.«
    Sie warf ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu. »Bloß eine Redensart.«
    »Nein, das ist keine Redensart. So eine Redensart gibt es nicht. Hast du mit Papa meine Katze ersäuft, als ich in Florenz war?«
    »Ich bin krank, Pasqua! Warum quälst du mich?«
    Pasquale zog sich zurück auf sein Zimmer. In der Nacht hörte er Schritte im zweiten Stock, als die Amerikanerin

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