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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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Beine waren so unglaublich lang und glatt, dass Pasquale keinen Schritt mehr machen konnte. Ihre Haut war fast so weiß wie das Nachthemd.
    »Tut mir leid, Pasquale«, ächzte sie. »Ich hab dich aufgeweckt.«
    »Nein, ist gut.« Er winkte ab.
    Sie wandte sich dem Becken zu und fing wieder an zu würgen, doch sie hatte nichts mehr im Magen und krümmte sich vor Schmerz.
    Pasquale wollte zu ihr eilen, blieb aber wie angewurzelt stehen, weil ihm Gualfredos Bemerkung darüber einfiel, dass Porto Vergogna und das Hotel zur ausreichenden Aussicht für amerikanische Touristen nicht angemessen ausgestattet seien. »Ich schicke nach Doktor.«
    »Nein«, erwiderte sie. »Es ist nicht so schlimm.« Doch genau in diesem Moment fasste sie sich an den Bauch und sackte zu Boden. »Oh.«
    Pasquale half ihr zurück ins Bett und stürzte wieder nach unten. Der nächste Arzt wohnte drei Kilometer entfernt in Portovenere. Der Witwer Merlonghi war ein freundlicher alter Dottore, der ausgezeichnet Englisch sprach und einmal im Jahr die Felsendörfer besuchte, um nach den Fischern zu sehen. Pasquale wusste genau, wer den Arzt holen musste: Tomasso der Kommunist. Seine Frau öffnete die Tür und trat beiseite. Tomasso streifte seine Hosenträger über und setzte die Mütze auf. Voller Stolz nahm er den Auftrag entgegen und versprach Pasquale, ihn nicht im Stich zu lassen.
    Pasquale lief zurück in die Pensione, wo Zia Valeria bei Dee Moray in deren Zimmer saß und ihr Haar hochhielt, als sie sich über eine große Schüssel beugte. Nebeneinander boten die beiden Frauen ein geradezu lächerliches Bild: Dee Moray mit ihrer blassen, makellosen Haut und ihrem schimmernd blonden Haar; Valeria mit dem wuchernden Schnurrbart im zerfurchten Gesicht und dem drahtartig verschlungenen Haar. »Sie muss Wasser trinken, damit sie was ausspucken kann«, erklärte Valeria. Auf dem Nachttisch stand ein Glas Wasser neben den Seiten von Alvis Benders Buch. Pasquale fing an, die Bemerkung seiner Tante zu übersetzen.
    Doch anscheinend hatte Dee Moray das Wort Acqua verstanden, denn sie griff nach dem Glas und trank. »Tut mir leid, dass ich so viele Scherereien mache.«
    »Was will sie?«, fragte Valeria.
    »Sie entschuldigt sich für die Scherereien.«
    »Sag ihr, dass ihr winziges Nachtgewand ein Hurenfetzen ist«, schimpfte Valeria. »Sie soll sich lieber dafür entschuldigen, dass sie meinem Neffen den Kopf verdreht wie eine Hure.«
    »Das sag ich ihr bestimmt nicht!«
    »Sag der Sauhure, sie soll verschwinden, Pasqua.«
    »Das reicht, Zia!«
    »Gott hat sie krank gemacht, weil er nichts hält von billigen Huren in winzigen Nachthemden.«
    »Halt den Mund, du verrückte Alte.«
    Dee Moray hatte den Wortwechsel stumm verfolgt. »Was sagt sie?«
    »Ähm.« Pasquale schluckte. »Es tut ihr leid, dass du krank bist.«
    Erwartungsvoll schob Valeria die Unterlippe vor. »Hast du der Hure übersetzt, was ich gesagt habe?«
    »Ja.« Pasquale wandte den Blick ab. »Ich hab es ihr übersetzt.«
    Im Zimmer wurde es still. Dee Moray schloss die Augen und wurde von der nächsten Übelkeitswelle erfasst. Ihr Rücken bog sich, als sie versuchte, sich zu übergeben.
    Dann war es vorbei, und die Amerikanerin schnaufte schwer. »Deine Mutter ist lieb.«
    »Das ist nicht meine Mutter«, erwiderte Pasquale. »Sie ist meine Tante. Zia Valeria.«
    Valeria beobachtete ihre Gesichter, weil sie nicht verstand, was geredet wurde. Doch die Erwähnung ihres Namens schien sie misstrauisch zu machen. »Ich hoffe, du willst diese Hure nicht heiraten, Pasquale.«
    »Zia …«
    »Deine Mutter glaubt, du willst sie heiraten.«
    »Das reicht, Zia!«
    Sanft schob Valeria der schönen Amerikanerin das Haar aus den Augen. »Was fehlt ihr eigentlich?«
    »Tumore«, sagte Pasquale leise.
    Dee Moray blickte nicht auf.
    Valeria wirkte auf einmal nachdenklich und kaute auf der Innenseite ihrer Wange. »Ach«, meinte sie schließlich, »das wird schon wieder. Sag der Hure, sie wird wieder gesund.«
    »Nein, das werde ich nicht.«
    »Doch.« Voller Ernst schaute Valeria ihren Neffen an. »Sag ihr, wenn sie Porto Vergogna nicht verlässt, wird sie wie der gesund.«
    Pasquale wandte sich seiner Tante zu. »Was redest du denn da?«
    Valeria reichte Dee wieder das Wasserglas. »Hier stirbt niemand. Babys und alte Leute, ja, aber Gott hat noch nie einen fruchtbaren Erwachsenen aus diesem Dorf dahingerafft. Das ist ein alter Fluch auf diesem Ort: dass die Huren viele Kinder verlieren, aber trotz ihrer

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