Schöne Ruinen
Sünden ein hohes Alter erreichen. Wer in Porto Vergogna die Kindheit übersteht, ist dazu verdammt, mindestens noch vierzig Jahre zu leben. Also, sag es ihr.« Sie tätschelte der schönen Amerikanerin den Arm und nickte ihr zu.
Dee Moray hatte die Unterhaltung beobachtet, ohne etwas davon zu verstehen, doch sie merkte, dass die Alte ein wichtiges Anliegen hatte. »Was will sie?«
»Nichts«, erwiderte Pasquale. »Gerede von Hexen.«
»Was ist es? Bitte verrat es mir.«
Seufzend rieb sich Pasquale über die Stirn. »Sie sagt … junge Leute nicht sterben in Porto Vergogna … hier niemand stirbt jung.« Mit einem Achselzucken tat er den verrückten Aberglauben der Alten ab. »Ist alte Geschichte … Stregoneria … Geschichte von Hexen.«
Dee Moray drehte sich um und schaute in Valerias schnurrbärtiges Maulwurfsgesicht. Die Alte nickte und streichelte ihr die Hand. »Wenn du das Dorf verlässt, wirst du dich bald blind und durstig an deinem trockenen, toten Schandloch kratzen und als Hure verrecken.«
»Vielen lieben Dank«, antwortete Dee Moray.
Pasquale wurde übel.
Valeria beugte sich vor, um der Besucherin etwas ins Ohr zu zischen: »E smettila di mostrare le gambe al mio nipote, puttana.« Und hör auf, meinem Neffen deine Beine zu zeigen, du Hure.
»Sie auch.« Dee Moray drückte Valerias Hand. »Danke.«
Erst nach einer Stunde kurvte Tomasso der Kommunist mit seinem Boot wieder in die Bucht. Die Sonne ging bereits auf, und die anderen Fischer waren hinausgefahren. Tomasso half dem alten Dr. Merlonghi auf den Pier. In der Trattoria hatte Valeria eine Heldenmahlzeit für Tomasso zubereitet, der seine Mütze abnahm und still die Bedeutung seines Auftrags auskostete. Doch inzwischen hatte er Hunger bekommen und nahm das Essen stolz an. Der alte Dottore trug eine Wolljacke, aber keine Krawatte. Aus seinen Ohren ragten graue Haarbüschel. Er folgte Pasquale die Treppe hinauf und war außer Atem, als sie zu Dee Morays Zimmer im zweiten Stock gelangten.
»Tut mir leid, dass ich allen so viele Unannehmlichkeiten bereite«, sagte sie. »Eigentlich fühle ich mich schon besser.«
Dem Arzt kam das Englische leichter über die Lippen als Pasquale. »Einer hübschen jungen Frau zu begegnen ist nie eine Unannehmlichkeit.« Er sah ihr in den Hals und hörte ihr Herz mit dem Stethoskop ab. »Pasquale sagt, Sie haben Magenkrebs. Wann wurde diese Diagnose gestellt?«
»Vor zwei Wochen.«
»In Rom?«
»Ja.«
»Wurde dabei ein Endoskop benutzt?«
»Ein was?«
»Das ist ein neues Instrument. Wurde Ihnen ein Röhrchen durch den Hals geschoben, um den Tumor zu fotografieren?«
»Ich erinnere mich, dass der Arzt da unten mit einem Licht nachgesehen hat.«
Der Dottore tastete ihren Bauch ab.
»Ich soll zur Behandlung in die Schweiz fahren. Vielleicht machen sie es dort, diese Skopsache. Eigentlich hätte ich schon vor zwei Tagen abreisen sollen, aber stattdessen bin ich hier gelandet.«
»Warum?«
Sie warf Pasquale einen Blick zu. »Ich bin hier mit einem Freund verabredet. Er hat den Ort ausgesucht, weil er ruhig ist. Danach fahre ich vielleicht in die Schweiz.«
»Vielleicht?« Klopfend hörte der Dottore ihre Brust ab. »Warum vielleicht? Die Behandlung ist in der Schweiz, dort müssen Sie hin.«
»Meine Mutter ist an Krebs gestorben …« Sie stockte und räusperte sich. »Damals war ich zwölf. Brustkrebs. Die Krank heit mit anzusehen war weniger schlimm als die Behandlung. Das werde ich nie vergessen. Es war …« Sie schluckte und ließ den Satz unvollendet. »Sie haben ihr die Brüste abgeschnitten … und sie ist trotzdem gestorben. Mein Dad hat später gesagt, es wäre besser gewesen, wenn er sie einfach mit nach Hause genommen hätte, damit sie auf der Terrasse sitzen und die Sonnenuntergänge genießen kann …«
Stirnrunzelnd ließ der Arzt das Stethoskop sinken. »Ja, die Behandlung von Krebs kann das Ende schlimmer machen. Es ist nicht leicht. Aber jeden Tag wird es besser. In den Vereinigten Staaten gibt es … Fortschritte. Bestrahlung. Medikamente. Heute ist es besser als damals bei Ihrer Mutter.«
»Und die Heilungschancen bei Magenkrebs? Sind die auch besser?«
Er lächelte sanft. »Wer war Ihr Arzt in Rom?«
»Dr. Crane. Ein Amerikaner. Er gehört zum Filmstab. Sicher ein fähiger Mann.«
»Ja.« Dr. Merlonghi nickte. »Bestimmt.« Er setzte das Stethoskop an ihren Magen und lauschte. »Sie haben dem Arzt erzählt, dass Sie unter Übelkeit und Schmerzen leiden?«
»Ja.«
»Tut es
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