Schöne Ruinen
Gerede einer alten Hexe. Aber mir fällt wirklich niemand ein, der hier jung gestorben ist.«
Tomasso rückte seine Mütze zurecht, als er nachsann. »Wie alt war dein Vater?«
»Dreiundsechzig.«
»Für mich ist das jung«, erklärte Tomasso.
Sie näherten sich La Spezia und schlängelten sich durch die großen Konservenschiffe in der Bucht.
»Hast du schon mal Tennis gespielt, Tomasso?« Pasquale wusste, dass Tomasso während des Kriegs eine Weile in einem Gefangenenlager gewesen war und viele Dinge kennengelernt hatte.
»Zumindest hab ich zugesehen.«
»Kommt es oft vor, dass die Spieler den Ball nicht treffen?«
»Bei den besseren Spielern nicht so oft, aber jeder Punkt endet damit, dass jemand nicht trifft oder den Ball ins Netz oder über die Linie schlägt. Das lässt sich nicht vermeiden.«
Im Zug musste Pasquale immer noch ans Tennis denken. Jeder Punkt endete also damit, dass jemand nicht traf; das schien grausam, aber zugleich auch irgendwie lebensnah. Merkwürdig, was der Versuch, sich in einer fremden Sprache auszudrücken, in ihm ausgelöst hatte. Das erinnerte ihn daran, wie er sich im Studium mit Gedichten beschäftigt hatte, wie die Worte ihren Sinn erlangten und verloren, wie sie sich mit Bildern überschnitten und auf seltsame Weise ein Echo der dahinter verborgenen Ideen auslösten. Zum Beispiel hatte Dee Moray auf seine Frage, ob der Mann, den sie liebte, genauso empfand, sofort geantwortet, ja, der Mann liebe sich auch. Was für ein köstlicher Witz! Und es erfüllte ihn noch immer mit einem ganz besonderen Stolz, dass er ihn auf Englisch verstanden hatte. Immer wieder ließ er den kurzen Wortwechsel in seinem Kopf ablaufen, er konnte nicht anders. Und die Unterhaltung über die Bilder im Bunker … es war aufregend zu erleben, was sie sich vorstellte – den einsamen jungen Soldaten mit dem Foto der Frau.
In seinem Waggon saßen zwei junge Frauen nebeneinander, beide mit einem Exemplar der gleichen Filmzeitschrift, in dem sie eifrig blätterten. Einander zugewandt plapperten sie über die Berichte, die sie lasen. Alle paar Minuten warfen sie ihm lächelnd einen Blick zu. Dann vertieften sie sich wieder in ihre Magazine; wenn eine auf das Bild eines Filmstars deutete, gab die andere sofort einen Kommentar ab. Brigitte Bardot? Jetzt ist sie noch schön, aber bald wird sie auch dick sein. Sie redeten laut, vielleicht um trotz des Zuglärms verstanden zu werden.
Pasquale schaute von seiner Zigarette auf und war selbst erstaunt, als er den beiden eine Frage stellte: »Steht da auch was von einer Schauspielerin drin, die Dee Moray heißt?«
Die Frauen, die seit einer Stunde versucht hatten, seine Aufmerksamkeit zu erregen, sahen einander an. Dann antwortete die Größere: »Ist sie Engländerin?«
»Amerikanerin. Sie ist in Italien und spielt in dem Film Cleopatra. Ich glaube nicht, dass sie ein großer Star ist, trotzdem dachte ich mir, dass sie vielleicht in der Zeitschrift erwähnt wird.«
»Sie spielt in Cleopatra ?« Hastig suchte die Kleinere in der Zeitschrift, bis sie auf das Bild einer hinreißenden dunkelhaarigen Schönheit stieß, das sie Pasquale hinhielt. Die Frau war mit Sicherheit attraktiver als Dee Moray. »Mit Elizabeth Taylor?« Die Schlagzeile unter Elizabeth Taylors Foto verhieß Einzelheiten zu einem SCHOCKIERENDEN AMERIKANISCHEN SKANDAL !
»Sie hat die Ehe von Eddie Fisher und Debbie Reynolds zerstört«, verriet die Größere.
»Wie traurig«, warf die andere ein. »Debbie Reynolds hat zwei kleine Kinder.«
»Ja, und jetzt will Elizabeth auch Eddie Fisher verlassen. Sie hat eine Affäre mit dem britischen Schauspieler Richard Burton.«
»Der arme Eddie Fisher.«
»Und der arme Richard Burton. Die Frau ist doch ein Ungeheuer.«
»Eddie Fisher ist nach Rom geflogen, um sie zurückzuerobern.«
»Seine Frau hat zwei kleine Kinder! Eine Schande.«
Pasquale war verblüfft darüber, wie viel diese Frauen über die Leute vom Film wussten. Als würden sie über ihre eigene Familie reden und nicht etwa über irgendwelche amerikanischen Schauspieler, denen sie nie begegnet waren. Die beiden hüpften schier vor Aufregung, während sie über Elizabeth Taylor und Richard Burton plapperten. Pasquale bedauerte, sie nicht einfach weiter ignoriert zu haben. Hatte er denn ernsthaft damit gerechnet, dass sie Dee Moray kannten? Sie hatte Pasquale erzählt, dass Cleopatra ihr erster Film war; wie sollten diese Frauen da von ihr gehört haben?
»Dieser Richard Burton ist ein
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