Schöne Ruinen
zwei äußerst verschiedenen deutschen Soldaten. Zuletzt kamen zwei identische Bilder einer jungen Frau. Die Zeit und das Wetter hatten den Farben ihre frühere Lebhaftigkeit geraubt, einsickerndes Wasser hatte die Seelandschaft beschädigt, eins der Soldatenporträts war geborsten, und in der Ecke des ersten Bildes der Frau verlief ein Sprung. Doch ansonsten waren die Werke erstaunlich gut erhalten.
»Später die Sonne kommt sie durch die Fenster.« Pasquale deutete auf die Maschinengewehrluken in der Bunkerwand. »Die Bilder … sie wachen auf. Die Frau, sie ist molto bella, ja?«
Dee starrte mit offenem Mund. »O ja.« Ihr Streichholz erlosch.
Pasquale gab ihr noch eins und legte ihr die Hand auf die Schulter, um ihre Aufmerksamkeit auf die Porträts der zwei Soldaten in der Mitte zu lenken. »Die Fischer sagen, zwei deutsche Soldaten leben hier Krieg, zu bewachen Meer, ja? Einer er malt auf Wand.«
Sie machte einen Schritt nach vorn, um die Porträts der Soldaten zu betrachten: einer ein Jüngling ohne Kinn und mit hochgeschlossenem Kragen, der mit stolz geneigtem Kopf zur Seite blickt; der andere einige Jahre älter, das Hemd offen, den Blick geradeaus gerichtet mit einem sehnsüchtigen Gesichtsausdruck, der trotz der verblichenen Farbe unverkennbar war. »Das war der Maler«, stellte sie leise fest.
Pasquale beugte sich vor. »Wie weißt du?«
»Er sieht einfach aus wie ein Künstler. Und er schaut uns an. Bestimmt hat er beim Malen einen Spiegel benutzt.«
Dee drehte sich um, um durch eine Schießscharte hinunter aufs Meer zu blicken. Dann wandte sie sich wieder den Bildern zu. »Das ist fantastisch, Pasquale. Vielen Dank.« Sie legte die Hand vor den Mund, als wäre sie den Tränen nah. »Stell dir vor, du bist dieser Maler und schaffst hier oben Meisterwerke … die nie jemand sehen wird. Das finde ich furchtbar traurig.«
Erneut ging sie zur bemalten Wand. Pasquale zündete wieder ein Streichholz an, mit dem sie an der Mauer entlangschritt … das aufgewühlte Meer auf dem Fels, die zwei Soldaten und schließlich die Bilder der Frau, zu drei Vierteln zur Seite gewandt, von der Taille aufwärts gemalt, zwei klassische Porträts. Dee verharrte vor den letzten beiden Gemälden. Pasquale hatte immer angenommen, dass es sich um zwei identische Porträts handelte, doch Dee sagte: »Schau. Das erste war nicht ganz richtig. Er hat es verbessert. Bestimmt von einem Foto.« Pasquale trat neben sie, und Dee deutete. »In dem hier ist die Nase ein bisschen zu schräg, und die Augen hängen nach unten.« Pasquale sah, dass sie recht hatte.
»Er muss sie sehr geliebt haben«, erklärte sie.
Sie drehte sich um, und im flackernden Schein des Streichholzes glaubte Pasquale Tränen in ihren Augen zu erkennen.
»Meinst du, er konnte heimkehren zu ihr?« Sie war ihm so nah, dass sie sich hätten küssen können.
»Ja«, flüsterte Pasquale. »Sieht er sie wieder.«
Gebückt in dem engen Raum blies Dee das Streichholz aus, umarmte ihn und flüsterte in die Dunkelheit: »O Gott, das hoffe ich auch.«
Um vier Uhr morgens sann Pasquale noch immer über diesen Augenblick in dem dunklen Bunker nach. Hätte er sie küssen sollen? Bisher hatte er in seinem Leben nur eine Frau geküsst, Amedea, und eigentlich war sie es, die ihn zuerst geküsst hatte. Vielleicht hätte er es sogar probiert, wenn er die Demütigung wegen des Tennisplatzes nicht noch so stark empfunden hätte. Warum war er nicht auf die Idee gekommen, dass die Bälle über die Klippen fliegen könnten? Vielleicht, weil auf den Bildern, die er gesehen hatte, keine Bälle gezeigt wurden, die an den Spielern vorbeiflogen. Trotzdem kam er sich dumm vor. Er hatte sich Tennis als etwas rein Ästhetisches vorgestellt; er hatte sich keinen Tennisplatz gewünscht, sondern das Gemälde eines Tennisplatzes. Ohne Zaun liefen natürlich auch die Spieler Gefahr, über die Klippen ins Meer zu stürzen. Dee Moray hatte recht. Ein hoher Zaun ließ sich leicht errichten. Doch er wusste, dass ein hoher Zaun seine Vision von einem flachen, über dem Meer schwebenden Platz ruinieren würde, der sich als vollkommene Ebene aus den Klippenfelsen erhob und neben Spielern in weißem Gewand auch Frauen trug, die unter Sonnenschirmen Drinks schlürften. Wenn sie von hohen Zäunen verdeckt wurden, konnte man sie von näher kommenden Booten aus nicht sehen. Ein Drahtzaun war sicher besser, aber er würde den Blick der Spieler aufs Meer trüben, außerdem wäre er hässlich wie ein
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