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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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suchen diesen Michael Deane. Sie wartet auf ihn, und er nicht kommt. Sie ist sehr krank.«
    Der Mann fixierte den Zettel, dann sah er die Frau an. »Dee ist doch angeblich in der Schweiz, um sich behandeln zu lassen.«
    »Nein. Sie kommt in mein Hotel.«
    »Gottverdammt, Mann, was willst du denn hier bei den Statisten?«
    Ein Wagen brachte Pasquale zurück ins Grand Hotel, und im Foyer sitzend beobachtete er die glitzernden Kristalle am Kronleuchter. Hinter ihm war eine Treppe, und alle paar Minuten tänzelte jemand nach unten, als ob man ihn dort mit Beifall empfangen würde. Auch die Aufzüge klingelten unablässig, doch niemand kam, um ihn zu holen. Pasquale rauchte und wartete. Er überlegte, ob er zu dem Ballsaal am Ende der Halle gehen und jemanden nach Michael Deane fragen sollte, doch er hatte Angst, dass sie ihn wieder in einen Bus setzen würden. Zwanzig Minuten verstrichen. Dann noch einmal zwanzig. Schließlich steuerte eine attraktive junge Frau auf ihn zu. Von denen gab es anscheinend genug.
    »Mr. Tursi?«
    »Ja.«
    »Mr. Deane entschuldigt sich vielmals, dass er Sie hat warten lassen. Bitte kommen Sie mit mir.« Pasquale folgte ihr zum Aufzug, und der Fahrstuhlführer brachte sie in den drit ten Stock. Die Gänge waren hell erleuchtet und breit, und Pas quale musste höchst beschämt an Dee Moray denken, die dieses herrliche Hotel gegen seine Pensione mit der engen Treppe eingetauscht hatte, wo nicht einmal die Decke normale Höhe hatte, weil die Wand in den natürlichen Stein überging, als würde sein Gasthof langsam vom Berg verschlungen.
    Er folgte der Frau in eine Suite mit mehreren Zimmern, deren Türen offen standen. In dieser Suite wurde anscheinend unaufhörlich gearbeitet – Leute redeten am Telefon und tippten, als hätte eine kleine Firma dort ihre Zelte aufgeschlagen. Auf einem langen Tisch stand Essen, und hübsche Italienerinnen servierten Kaffee. In einer von ihnen erkannte er die Frau aus der Schlange. Aber sie wollte ihm nicht in die Augen sehen.
    Im Eilschritt wurde Pasquale durch die Suite geleitet, bis zu einem Balkon mit Blick auf die Kirche Trinità dei Monti. Erneut dachte er beschämt an Dee Moray, die ihm versichert hatte, wie herrlich sie die Aussicht von ihrem Zimmer fand.
    »Bitte nehmen Sie Platz. Michael wird gleich bei Ihnen sein.«
    Pasquale setzte sich auf einen schmiedeeisernen Stuhl, hinter sich das unablässige Stimmengewirr und Tippen. Er rauchte. Abermals wartete er vierzig Minuten. Dann tauchte wieder die attraktive Frau auf. Oder war es eine andere? »Es dauert leider noch einige Minuten. Möchten Sie inzwischen vielleicht ein wenig Wasser?«
    »Ja, danke.«
    Doch das Wasser kam nicht. Inzwischen war es schon nach eins. Seit über drei Stunden versuchte er, zu Michael Deane vorzudringen. Er hatte Durst und Hunger.
    Wieder vergingen zwanzig Minuten, bis erneut die Frau erschien. »Michael wartet unten im Foyer auf Sie.«
    Pasquale zitterte – ob vor Zorn oder Hunger, wusste er nicht –, als er ihr durch die Suite hinaus in den Gang und mit dem Aufzug zurück ins Foyer folgte. Und dort, genau auf dem Sofa, auf dem er sich vor einer Stunde niedergelassen hatte, saß ein Mann, der viel jünger war, als Pasquale es sich vorgestellt hatte: ein blonder, bleicher Amerikaner in seinem Alter mit dünnem, rötlich braunem Haar. Er kaute auf seinem rechten Daumennagel. Sein Äußeres war durchaus anziehend, wenngleich auf diese verwaschene amerikanische Art, doch ihm fehlte das gewisse Etwas, das Pasquale bei dem Mann vermutet hätte, auf den Dee Moray wartete. Vielleicht, dachte er, gibt es keinen Mann, der gut genug für sie ist.
    Der Mann erhob sich. »Mr. Tursi, ich bin Michael Deane. Wie ich höre, wollen Sie mit mir über Dee reden.«
    Was dann kam, überraschte sogar Pasquale. Zu so etwas hatte er sich nicht mehr hinreißen lassen, seit er siebzehn gewesen war. Damals hatte in einer Nacht in La Spezia einer von Orenzios Brüdern seine Männlichkeit infrage gestellt. Er trat vor und versetzte Michael Deane einen Fausthieb – noch dazu gegen die Brust. Noch nie hatte er jemanden gegen die Brust geschlagen, hatte dergleichen noch nicht einmal erlebt. Nach dem dumpfen Aufprall breitete sich der Schmerz in seinem ganzen Arm aus, und Deane fiel zurück auf das Sofa wie ein leerer Kleidersack.
    Zitternd stand Pasquale über dem Zusammengesunkenen und dachte: Steh auf. Steh auf und kämpfe, damit ich dich noch mal schlagen kann. Doch allmählich verrauchte Pasquales

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