Schöne Ruinen
Liz, später die von Dee. Als ich sie weggeschickt habe, war sie enttäuscht, weil nie jemand erfahren wird, dass sie in dem Film war. Deswegen möchte sie sie viel leicht haben.« Michael Deane zuckte die Achseln. »Da dachte sie natürlich noch, dass sie sterben muss.«
Unheilvoll hing das Wort sterben in der Luft.
»Wissen Sie«, fuhr Michael Deane fort, »irgendwie hab ich mir vorgestellt, dass wir irgendwann gemeinsam darüber lachen, wenn wir uns in vielen Jahren über diese Geschichte unterhalten, dass wir uns vielleicht sogar …« Mit einem matten Lächeln verstummte er. »Aber so wird es nicht laufen. Bestimmt will sie mir an die Eier. Aber bitte sagen Sie ihr … wenn sie die Wut überwunden hat und wir erst mal zurück in den Staaten sind, besorge ich ihr jede Filmrolle, die sie haben will. Sie muss nur kooperativ bleiben. Können Sie ihr das ausrichten? Sie kann ein Star werden, wenn sie es möchte.«
Pasquale war kurz davor, sich zu übergeben. Er musste sich schwer zusammenreißen, um nicht wieder die Fäuste fliegen zu lassen. Wie konnte der Kerl bloß eine Schwangere im Stich lassen? Dann brach sich eine naheliegende Einsicht in ihm Bahn, und er ächzte auf. Noch nie hatte er einen Gedanken als so körperlich empfunden, wie einen Tritt in den Unterleib: Da koche ich vor Wut auf einen Mann, weil er eine schwangere Frau verlassen hat …
… doch zugleich lasse ich zu, dass mein Sohn in dem Glauben aufwächst, seine Mutter sei seine Schwester.
Pasquale lief rot an. Er erinnerte sich, wie er auf dem Bunker kauernd zu Dee Moray gesagt hatte, dass es nicht immer so einfach war. Doch es war einfach. Ganz einfach. Es gab die eine Sorte Männer, die vor dieser Verantwortung davonliefen. Er und Michael Deane waren solche Männer. Ehe er diesen Filmmenschen verprügelte, musste er sich an der eigenen Nase fassen. Pasquale spürte, wie krank seine Heuchelei war, und bedeckte den Mund mit der Hand.
Als Pasquale stumm blieb, blickte Michael Deane stirnrunzelnd zurück zur Fontana della Barcaccia. »So ist nun mal die Welt.«
Mit diesen Worten verschwand Michael Deane in der Menge und ließ Pasquale am Brunnen zurück. Er öffnete das schwere Kuvert. Es war mit mehr Geld gefüllt, als er je gesehen hatte – ein Bündel in amerikanischer Währung für Dee und italienische Lire für ihn.
Pasquale steckte die Fotos in den Umschlag und schloss ihn. Dann schaute er sich um. Der Tag war bedeckt. Überall auf der Spanischen Treppe hatten sich Menschen zum Ausruhen verteilt, doch auf der Piazza strebten sie absichtsvoll in unterschiedlicher Geschwindigkeit und in geraden Linien dahin wie aus tausend Gewehren in tausend Winkeln abgefeuerte Kugeln. All diese Menschen bewegten sich in einer Weise, die sie für richtig hielten … all diese Geschichten, all diese schwachen, kranken Leute mit ihren verräterischen, dunklen Herzen – So ist nun mal die Welt – wirbelten um ihn herum, redeten und rauchten und machten Fotos, und Pasquale spürte, wie sich eine Starre in ihm ausbreitete, und dachte, er könnte den Rest seines Lebens hier stehen bleiben wie der alte Brunnen mit dem gestrandeten Boot. Die Menschen würden auf die Statue des armen Dorfbewohners deuten, der in seiner Naivität in die Stadt gekommen war, um mit den amerikanischen Filmleuten zu sprechen, auf den Mann, der versteinert war, als ihm sein Charakter offenbart wurde.
Und Dee! Was sollte er ihr erzählen? Sollte er den Mann anprangern, den sie liebte, diese Schlange Deane, wo Pasquale doch selbst eine von diesen Schlangen war? Pasquale presste die Hand vor den Mund, um ein Stöhnen zu unterdrücken.
Plötzlich spürte er eine Berührung an der Schulter. Pasquale drehte sich um. Es war eine Frau, die Dolmetscherin, die bei der Auswahl der Zenturionen geholfen hatte. »Sie sind der Mann, der weiß, wo Dee ist?«, fragte sie auf Italienisch.
»Ja.«
Die Frau blickte sich um, dann zupfte sie Pasquale am Ärmel. »Bitte kommen Sie mit. Jemand möchte dringend mit Ihnen reden.«
9
Der Raum
Unlängst,
Universal City, Kalifornien
Der Raum ist alles. Wenn Sie in diesem Raum sind, existiert draußen nichts mehr. In diesem Zimmer müssen Sie nur an sich selbst glauben. Sie SIND Ihre Geschichte. Die Leute, die Ihren Pitch hören, können den Raum genauso wenig verlassen, wie sie einen Orgasmus abbrechen können. Sie MÜSSEN sich Ihre Geschichte anhören. Es gibt nur noch das Zimmer.
Große Romane erzählen unbekannte Wahrheiten. Große Filme gehen
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