Schöne Ruinen
Zorn, und er schaute sich um. Niemand hatte seinen Boxhieb beobachtet. Anscheinend hatte es ausgesehen, als hätte sich Michael Deane einfach wieder hingesetzt. Pasquale wich ein Stück zurück.
Als er wieder Luft bekam, richtete Deane mit einer Grimasse den Oberkörper auf. »Au! Scheiße.« Dann hustete er. »Sie glauben wohl, dass ich das verdient habe.«
»Warum Sie lassen sie allein! Sie hat Angst. Sie ist krank.«
»Ich weiß, ich weiß. Hören Sie, tut mir leid, dass das so gelaufen ist.« Erneut hustete Deane und rieb sich die Brust. Vorsichtig spähte er um sich. »Können wir das vielleicht draußen besprechen?«
Achselzuckend folgte ihm Pasquale zur Tür.
»Aber keine Schläge mehr, okay?«
Pasquale versprach es ihm, und zusammen gingen sie hinaus zur Spanischen Treppe. Auf der Piazza drängten sich die Menschen, Händler brüllten Blumenpreise. Gestikulierend wimmelte Pasquale sie ab, als sie weiter auf den Platz vordrangen.
Michael Deane strich sich noch immer über die Brust. »Ich glaube, Sie haben mir was gebrochen.«
»Dispiace«, murmelte Pasquale, obwohl es ihm nicht im Geringsten leidtat.
»Wie geht es Dee?«
»Sie ist krank. Ich hole Dottore von La Spezia.«
»Und dieser Doktor … hat sie untersucht?«
»Ja.«
»Verstehe.« Mit einem grimmigen Nicken machte sich Michael Deane wieder über seinen Daumennagel her. »Dann muss ich wohl nicht lange raten, was er gesagt hat.«
»Er hat gefragt nach ihrem Dottore.«
»Er will mit Dr. Crane reden?«
»Ja.« Pasquale versuchte, sich an den genauen Wortlaut des Gesprächs zu erinnern, aber ihm war klar, dass er das nicht übersetzen konnte.
»Hören Sie, Sie müssen wissen, das war alles nicht Dr. Cranes Idee, sondern meine.« Michael Deane wich leicht zurück wie aus Furcht vor weiteren Schlägen. »Dr. Crane hat ihr nur erklärt, dass ihre Symptome denen eines Tumors entsprechen. Und das stimmt.«
Pasquale war sich nicht sicher, ob er das ganz verstanden hatte. »Sie holen sie jetzt?«
Statt gleich zu antworten, ließ Michael Deane den Blick über die Piazza schweifen. »Wissen Sie, was ich an diesem Ort mag, Mr. Tursi?«
Pasquale fixierte die Spanische Treppe, deren Stufen wie die einer Hochzeitstorte hinaufführten zur Kirche Trinità dei Monti. Ganz unten saß eine junge Frau, die ein Buch las, während ihr Freund in einen Skizzenblock zeichnete. Die Treppe war voll von Leuten, die lasen, Fotos machten oder angeregte Unterhaltungen führten.
»Ich mag den Eigennutz der Italiener. Ich mag, dass sie keine Angst davor haben zu verlangen, was sie wollen. Amerikaner sind da anders. Wir reden um unsere Absichten herum. Wissen Sie, was ich meine?«
Pasquale wusste es nicht. Doch er wollte es nicht zugeben und nickte einfach.
»Wir beide sollten zu einer Einigung kommen. Ich bin natürlich in einer schwierigen Position, und Sie sind jemand, der mir vielleicht aus der Patsche helfen kann.«
Pasquale hatte Mühe, sich auf dieses sinnlose Gerede zu konzentrieren. Er begriff nicht, was Dee Moray in diesem Mann sah.
Sie hatten die Fontana della Barcaccia im Zentrum der Piazza erreicht. Michael Deane lehnte sich dagegen. »Kennen Sie die Geschichte dieses Brunnens, die Geschichte der sinkenden Barkasse?«
Pasquale betrachtete das steinerne Boot, in dessen Mitte das Wasser rieselte. »Nein.«
»Diese Skulptur unterscheidet sich von allen anderen in der Stadt. All diese ernsthaften, seriösen Werke – nur das hier ist komisch, lächerlich. Für meine Begriffe ist es deswegen das ehrlichste Kunstwerk Roms. Verstehen Sie, was ich meine, Mr. Tursi?«
Pasquale wusste nicht, was er antworten sollte.
»Vor langer Zeit hat der Fluss während einer Überschwemmung genau an der Stelle, wo heute der Brunnen steht, ein Boot zurückgelassen. Der Künstler hat versucht, die Willkür einer Katastrophe abzubilden. Er wollte darauf hinaus, dass manchmal Dinge passieren, für die es keine Erklärung gibt. Manchmal taucht einfach ein Boot auf der Straße auf. Und so merkwürdig es auch scheint, man muss mit der Tatsache klarkommen, dass da plötzlich ein Boot auf der Straße liegt. Tja … das beschreibt ungefähr meine Situation hier in Rom, bei den Dreharbeiten zu diesem Film. Allerdings gibt es nicht bloß ein Boot. Auf jeder verdammten Scheißstraße liegt so ein verdammtes Scheißboot herum.«
Nach wie vor hatte Pasquale keine Ahnung, worum es ging.
»Sie denken vielleicht, dass es grausam von mir war, Dee so zu behandeln. Ich möchte da gar
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