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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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darüber hinaus. Große Filme verbessern die Wahrheit. Von welcher Wahrheit lässt sich schon behaupten, dass sie nach dem ersten Wochenende, an dem sie ans Licht kam, bereits vierzig Millionen Dollar eingespielt hat? Welche Wahrheit hat sich binnen sechs Stunden in vierzig verschiedene Länder verkauft? Wer stellt sich an, um eine Fortsetzung der Wahrheit zu sehen?
    Wenn Ihre Geschichte die Wahrheit verbessert, können Sie sie in dem Raum verkaufen. Verkaufen Sie sie in dem Raum, und Sie haben den Vertrag in der Tasche. Haben Sie den Vertrag in der Tasche, dann wartet die Welt auf Sie wie eine bebende Braut in Ihrem Bett.
    Aus: Michael Deane, Der Weg des Deanes: Wie ich das moderne Hollywood nach Amerika pitchte und wie auch Sie den Erfolg in Ihr Leben pitchen können , Kapitel 14.
    In dem Raum spürt Shane Wheeler die Erregung, die Michael Deane versprochen hat. Sie werden Donner! machen. Das weiß er einfach. Michael Deane ist Mr. Miyagi, dessen Auto er gerade poliert hat. Michael Deane ist Yoda, und Shane ist es gerade gelungen, das Schiff aus dem Schlamm zu heben. Shane hat es geschafft. Noch nie hat er sich so belebt gefühlt. Er wünscht sich, Saundra hätte es gesehen oder seine Eltern. Zu Beginn war er vielleicht ein wenig nervös, aber jetzt ist er sich todsicher: Sein Pitch hat voll eingeschlagen. Im Zimmer kehrt Stille ein. Shane wartet.
    Als Erster meldet sich der alte Pasquale zu Wort: »Penso che sia andato molto bene.« Ich glaube, das ist sehr gut gelaufen.
    »Grazie, Mr. Tursi.« Vorsichtig sieht sich Shane um.
    Michael Deane bleibt völlig undurchdringlich, aber Shane weiß gar nicht, ob in diesem Gesicht überhaupt noch ein menschlicher Ausdruck möglich ist. Allerdings scheint er tief in Gedanken versunken, die furchigen Hände gefaltet vor dem glatten Gesicht, die Zeigefinger wie ein Kirchturm vor den Lippen erhoben. Shane fixiert den Mann genauer: Hängt eine von den Brauen höher als die andere? Oder verharrt sie nur im Moment so?
    Rechts von Michael Deane macht Claire Silver ein ziemlich merkwürdiges Gesicht. Es könnte ein Lächeln sein (sie ist begeistert!) oder eine Grimasse (kann es sein, dass sie nichts davon hält?), doch in Ermangelung eines treffenderen Begriffs würde Shane von gequältem Staunen sprechen.
    Immer noch herrscht Schweigen. Allmählich fragt sich Shane, ob er den Raum falsch gedeutet hat, und alle Selbstzweifel des letzten Jahres schleichen sich wieder an. Plötzlich entfährt Claire Silver ein Laut. Ein Summen durch die Nase wie das leise Starten eines Motors. »Kannibalen«, sagt sie. Dann bricht es aus ihr hervor: lautes, unkontrolliertes, atemloses Gelächter, schrill, manisch zwitschernd, und sie streckt Shane die Hand entgegen. »Ich … Entschuldigung, das hat nichts … es ist bloß … es …« Sie gibt auf und schüttelt sich vor Lachen.
    »Tut mir leid«, mühsam bringt Claire die Worte hervor. »Wirklich. Aber …« Und wieder gackert sie los, noch höher diesmal. »Drei Jahre warte ich auf einen guten Film-Pitch, dann kommt er, und worum geht es? Um einen Cow boy …« Sie schlägt die Hand vor den Mund, um das La chen zu unterdrücken. »Um einen Cowboy, dessen Familie von einem dicken Deutschen aufgefressen wird.« Sie krümmt sich.
    »Er ist kein Cowboy.« Shane merkt, wie er innerlich zusammenschrumpft. »Und wir würden den Kannibalismus nicht vorführen.«
    »Nein, schon klar, tut mir leid.« Claire ringt um Fassung. »Entschuldigung.« Wieder drückt sie die Hände vors Gesicht und macht die Augen zu, aber das Lachen will nicht aufhören.
    Shane schielt zu Michael Deane, doch der alte Produzent starrt einfach ins Leere, tief in Gedanken, während Claire durch die Nase prustet.
    Shane spürt, wie die letzte Luft aus seinem Körper entweicht. Jetzt ist er nur noch zweidimensional – ein Abzug seines zermalmten Egos. So hat er sich während seiner Depression im letzten Jahr gefühlt, und er erkennt, dass es vermessen war, auf sein altes HANDLE -Selbstvertrauen zu setzen – auch in dessen neuerer, bescheidenerer Form. Dieser Shane ist endgültig tot. Ein Milchkalbskotelett. »Aber …«, murmelt er fast unhörbar, »es ist eine gute Geschichte.« Hilfe suchend sieht er Michael Deane an.
    Claire kennt die Spielregeln: Kein Produzent gibt jemals zu, dass ihm ein Pitch nicht gefällt, weil er nicht wie ein Idiot dastehen will, wenn die Idee zufällig zum Kassenschlager wird. Man lässt sich immer eine Ausrede einfallen: Es passt nicht für den Markt oder

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