Schöne Ruinen
nickt. »Natürlich, Michael.« Dann, leise: »Und … es ist also Ihr Kind?«
Lachend blickt Michael Deane zu Boden und wieder auf. »Kennen Sie das alte Sprichwort, dass der Erfolg tausend Väter hat, der Misserfolg aber höchstens einen?«
Erneut nickt sie.
Wieder zieht er die Jacke enger. »In diesem Sinn ist der kleine Scheißer … vielleicht das einzige Kind, das ich je hatte.«
10
Die UK-Tour
August 2008
Edinburgh, Schottland
E in magerer irischer Junge, der in einer Bar in Portland gegen Pat Benders Schulter rempelte – so fing es an.
Pat wandte sich um und sah ein blasses Gesicht, sah eine Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen und eine Superman-Frisur, sah eine schwarze Brille und ein Dandy-Warhols-T-Shirt.
»Drei Wochen in Amerika, und weißt du, was ich am meis ten hasse?«, fragte der Kleine. »Eure bescheuerten Sport arten.« Mit dem Kinn deutete er auf das stumme Mariners-Spiel im Fernsehen. »Vielleicht kannst du mir ja was über Bessboul erklären, was ich nicht ganz kapiere.«
Ehe Pat den Mund aufbrachte, rief der Junge: »Nämlich alles !« Dann glitt er auf die Bank gegenüber von Pat. »Ich bin Joe. Gib’s zu, ihr Amerikaner seid scheiße in jedem Sport, den ihr nicht selbst erfunden habt.«
»Offen gestanden«, antwortete Pat, »bin ich auch in amerikanischen Sportarten scheiße.«
Das schien Joe zu amüsieren und zufriedenzustellen. Er deutete auf den Gitarrenkoffer, der neben Pat lehnte wie eine gelangweilte Begleiterin. »Und spielst du diese Larrivée auch?«
»Gegenüber«, sagte Pat. »In einer Stunde.«
»Echt? Ich bin eine Art Veranstalter«, erklärte Joe. »Was spielst du so?«
»Ziemlich kaputtes Zeug. War früher Frontmann einer Band … die Reticents?« Keine Reaktion. Pat kam sich jämmerlich vor, weil er es probiert hatte. Und wie sollte er beschreiben, was er inzwischen machte? Begonnen hatte es als erzähllastiges akustisches Programm – so ähnlich wie die alte Fernsehsendung Storytellers – , doch nach einem Jahr hatte sich ein komischer Musikmonolog daraus entwickelt, eine Art Spalding Gray mit Gitarre. »Na ja, ich sitze auf einem Barhocker und spiele ein bisschen. Ich erzähle witzige Geschichten, beichte einen Haufen Quatsch, und alle paar Monate betätige ich mich nach dem Auftritt als Amateurgynäkologe.«
Und so wurde die Idee einer UK -Tour geboren. Wie bei jedem Highlight in Pasquale »Pat« Benders popeliger Karriere ging die Initiative nicht einmal von ihm aus. Sondern von Joe, der in dem halb vollen Club in einer mittleren Reihe saß und über »Showerpalooza« lachte, Pats Song darüber, dass Jamgruppen zum Himmel stinken; der sich wegwarf bei Pats Riff über den Covertext seiner zugedröhnten Band, der klang wie eine chinesische Speisekarte, und der wie die anderen den Refrain »Why Are Drummers So Ducking Fumb?« mitgrölte.
Dieser Joe hatte etwas Magnetisches. An einem normalen Abend hätte sich Pat auf diese kleine Schnecke am vorderen Tisch konzentriert, deren weißes Höschen im Stroboskoplicht unter dem Rock aufblitzte, doch immer wieder hörte er Joes Gewieher, das größer klang, als der Junge tatsächlich war, und als Pat zum dunklen, bekenntnishaften Teil seiner Show kam – Drogen und Trennungen –, zeigte sich Joe ganz gerührt und nahm sogar die Brille ab, um sich zum Refrain von Pats tief empfundenem Song »Lydia« die Augen abzutupfen.
It’s an old line: you’re too good for me
Yeah, it’s not you it’s me
But Lydia, baby … what if that’s the one true thing
You ever got from me –
Hinterher überschlug sich der Junge vor Begeisterung. So was hatte er noch nie gesehen: witzig, ehrlich, intelligent, Musik und komische Bemerkungen, die sich perfekt ergänzten. »Und dieser Song ›Lydia‹ – Wahnsinn , Pat!«
Genau wie Pat vermutet hatte, war Joe von »Lydia« in wehmütige Erinnerung an eine Frau versetzt worden und musste gleich die ganze Geschichte zum Besten geben, die Pat zum größten Teil ignorierte. Egal, wie viel sie während des restlichen Auftritts lachten, junge Männer waren immer gerührt von diesem Song und der Beschreibung des Endes einer Beziehung. Pat wunderte sich immer wieder darüber, wie sie diese kalte, bittere Abrechnung mit romantischer Gefühlsduselei (Did I ever exist / Before your brown eyes ) – für ein Liebeslied halten konnten.
Joe fing sofort davon an, dass Pat unbedingt in London spielen musste. Dummes Gerede um Mitternacht, das um eins interessant und um zwei schon
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