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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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Leben.
    Danach, als sich nur noch ihre Beine berührten, bombardierte ihn Umi mit persönlichen Fragen, wie jemand, der sich nach dem Spritverbrauch eines Autos erkundigt, mit dem er gerade eine Probefahrt gemacht hat. Pat antwortete ehrlich, ohne mitteilsam zu sein. War er schon mal verheiratet? Nein. Auch nicht kurz davor? Eigentlich nicht. Aber was war mit dem Song »Lydia«? War sie nicht die Liebe seines Lebens? Erstaunlich, was die Leute alles aus dem Stück heraushörten. Liebe seines Lebens? Früher hatte er das mal geglaubt; er erinnerte sich an das gemeinsame Apartment in Alphabet City, an das Grillen auf dem kleinen Balkon und das Kreuzworträtsellösen am Sonntagvormittag. Aber wie hatte sich Lydia ausgedrückt, nachdem sie ihn mit einer anderen erwischt hatte? Wenn du mich wirklich liebst, dann ist es noch schlimmer, wie du dich benimmst. Es bedeutet, dass du grausam bist.
    Nein, sagte Pat zu Umi, Lydia war nicht die Liebe seines Lebens. Einfach eine Frau wie die anderen.
    Langsam bewegten sie sich von der Intimität zurück zum Small Talk. Wo kam er her? Aus Seattle, aber er hatte ein paar Jahre in New York gelebt, und seit Kurzem war er in Portland. Geschwister? Nein. Nur er und seine Mutter. Und sein Vater? Den hatte er eigentlich nie kennengelernt. War Autohändler. Wollte Schriftsteller sein. Starb, als Pat vier war.
    »Das tut mir leid. Da stehst du deiner Mum sicher sehr nah.«
    »Nicht unbedingt. Hab seit über einem Jahr nicht mehr mit ihr gesprochen.«
    »Warum?«
    Und plötzlich befand er sich wieder mitten in dieser bescheuerten Konfrontationssituation: Lydia und seine Mom standen auf der anderen Seite des Zimmers (Wir machen uns Sorgen, Pat und Das muss aufhören) und wollten ihm nicht in die Augen sehen. Lydia hatte Pats Mutter noch vor ihm kennengelernt, über das Laientheater in Seattle, und im Gegensatz zu den meisten Freundinnen, deren Enttäuschung sich ausschließlich darum drehte, wie sich sein Verhalten auf sie auswirkte, beklagte sich Lydia im Namen seiner Mutter: dass er sie monatelang ignorierte (bis er wieder Geld brauchte), dass er seine Versprechen an sie brach, dass er ihr das Geld, das er genommen hatte, noch immer nicht zurückgezahlt hatte. Du kannst nicht so weitermachen , beschwor ihn Lydia, das bringt sie um – wobei sie in Pats Kopf für beide stand. Um sie glücklich zu machen, gab Pat alles auf außer Alkohol und Gras. Er und Lydia stolperten noch ein Jahr lang nebeneinander dahin, bis seine Mutter krank wurde. Doch im Nachhinein betrachtet, war ihre Beziehung wohl schon nach dieser Konfrontation erledigt, als sie sich zu seiner Mutter auf die andere Seite des Zimmers stellte.
    »Wo ist sie jetzt?«, fragte Umi. »Deine Mum?«
    »In Idaho«, erwiderte Pat müde. »In einer Kleinstadt, die Sandpoint heißt. Sie leitet die Theatergruppe dort.« Dann überrascht er sich selbst: »Sie hat Krebs.«
    »Oh, das tut mir leid.« Umi erzählte, dass ihr Vater ein Non-Hodgkin-Lymphom hatte.
    Pat hätte wie sie nach Einzelheiten fragen können, doch er beschränkte sich auf: »Das ist schlimm.«
    »Ja, bloß …« Umi starrte zu Boden. »Mein Bruder erzählt ständig, wie tapfer er ist. Dad ist so tapfer. Er kämpft so tapfer. In Wirklichkeit ist er das wandelnde Elend.«
    »Ja.« Pat wurde allmählich unruhig. »Also.« Er vermutete, dass genug höfliche postkoitale Konversation gemacht worden war. Zumindest in Amerika wäre es so gewesen – die britischen Gepflogenheiten kannte er nicht. »Also ich …« Er stand auf.
    Sie beobachtete, wie er sich anzog. »Du machst das öfter.« Eine Feststellung, keine Frage.
    »Auch nicht öfter als die meisten«, antwortete Pat.
    Sie lachte. »Das mag ich an euch gut aussehenden Typen. Sex, ich? Nie im Leben.«
    Wenn London eine fremde Stadt war, dann war Edinburgh ein anderer Planet.
    Sie nahmen den Zug, und Joe schlief ein, sobald sie King’s Cross hinter sich gelassen hatten. So konnte Pat bei allem, was draußen an den Fenstern vorüberzog, nur raten: Wäscheleinenviertel, in der Ferne große Ruinen, Kornfelder und Formationen aus Küstenbasalt, die ihn an die Columbia River Gorge zu Hause erinnerten.
    »Also dann.« Viereinhalb Stunden später erwachte Joe schniefend und schaute sich benommen um, als sie in den Bahnhof von Edinburgh einfuhren.
    Der Ausgang des Bahnhofs lag in einer tiefen Rinne – links eine Burg, rechts die steinernen Wälle einer Renaissancestadt. Das Fringe-Festival war größer, als Pat erwartet hatte. Alle

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