Schöne Ruinen
love you baby und Peace is the answer. Scheiß drauf!
Zum ersten Mal verlor Joe die Geduld mit Pat, und ein rosiger Schimmer zog über seine blassen Wangen. »Das macht man eben so, Pat. Weißt du, wer diese beschissene Riot Police ist? Ich. Die vier Sterne hast du von mir gekriegt.« Er warf ein Flugblatt nach Pat. » Ich hab diesen ganzen Schrott bezahlt!«
Pat seufzte. Er wusste, die Welt und die Zeiten hatten sich verändert – die Bands mussten bloggen und floggen, twittern und zittern. Verdammt, Pat hatte nicht mal ein Handy. Auch in den Staaten kam man nicht mehr durch als stiller, in sich gekehrter Künstler; jeder Musiker musste an die Öffentlichkeit, und inzwischen war das ein Haufen beknackter Selbstdarsteller, die jeden Furz über ihren Computer posteten. Als Rebellen galten heute Kids, die den ganzen Tag Youtube-Videos davon machten, wie sie sich Legos in den Arsch schoben.
»Legos in den Arsch?« Joe lachte. »Das musst du verwenden.«
Am Nachmittag streiften sie herum und verteilten Flugblätter auf der Straße. Zuerst fand Pat es nur demütigend und jämmerlich, doch Joes fieberhafter Eifer – »Die Show, die in den Staaten alle umgehauen hat!« – machte ihn kleinlaut, also gab er sein Bestes und konzentrierte sich auf die Frauen. »Das dürfen Sie sich nicht entgehen lassen«, erklärte er mit betörendem Blick und drückte einer Passantin ein Flugblatt in die Hand. »Es gefällt Ihnen bestimmt.« Am Abend besuchten achtzehn Leute die Vorstellung, auch der Rezensent von etwas namens Laugh Track , der Pat vier Sterne gab und – wie Joe begeistert vorlas – in seinem Blog schrieb: »Der frühere Sänger der alten amerikanischen Kultband Reticents liefert einen Musikmonolog der wirklich anderen Art, kantig, ehrlich, witzig. Ein echter komischer Misanthrop.«
Am nächsten Abend kamen neunundzwanzig Zuschauer, darunter eine nett aussehende junge Frau in schwarzer Stretch hose, die nach der Show noch blieb und einen Joint mit ihm rauchte. Pat vögelte sie an den Wasserrohren in seiner Besenkammer.
Als er auf einem Küchenstuhl erwachte, saß Joe schon angezogen und mit verschränkten Armen vor ihm. »Du hast Umi gefickt ?«
Noch schlaftrunken dachte Pat, dass er das Mädchen nach der Show meinte. »Du kennst sie?«
»In London, du blödes Arschloch! Hast du mit Umi geschlafen?«
»Ach so. Ja.« Pat setzte sich auf. »Weiß Kurtis davon?«
»Kurtis? Sie hat es mir erzählt! Sie hat gefragt, ob du sie erwähnt hast!« Joe riss sich die Brille herunter und wischte sich über die Augen. »Weißt du noch, wie du in Portland ›Lydia‹ gesungen hast? Ich hab dir erzählt, dass ich in die Freundin meines besten Kumpels verliebt bin – Umi.«
Pat erinnerte sich, dass Joe von einer Frau erzählt hatte. Gut möglich, dass er auch den Namen erwähnt hatte. Doch die Aussicht auf eine UK -Tour hatte ihn so begeistert, dass er gar nicht richtig zugehört hatte.
»Kurtis steigt mit jeder Schnecke im West End in die Koje – genau wie der blöde Wichser in deinem Song –, und ich hab Umi kein Wort gesagt, weil Kurt mein Kumpel ist. Und dann kommst du daher …« Sein Gesicht lief knallrot an, und die Tränen schossen ihm in die Augen. »Ich liebe diese Frau, Pat!«
»Tut mir leid, Joe. Ich hatte ja keine Ahnung, ehrlich.«
»Und von wem hab ich deiner Meinung nach geredet?« Joe wuchtete sich die Brille wieder auf die Nase und stapfte aus dem Zimmer.
Eine Weile saß Pat da und fühlte sich wirklich elend. Dann zog er sich an und ging hinaus auf die überfüllte Straße, um Joe zu finden. Was hatte er gesagt? Wie der blöde Wichser in deinem Song. Hielt Joe das Stück vielleicht für eine Parodie? Wie aus dem Nichts tauchte ein hässlicher Gedanke auf: Verdammt … war es tatsächlich eine? War er selbst eine Parodie?
Den ganzen Nachmittag suchte er nach Joe. Sogar in der Burg probierte er es, wo es nur so wimmelte vor kamera schwenkenden Touristen, doch keine Spur von Joe. Er lief zu rück in die New Town, hinauf zum Calton Hill, einer sanften Erhebung, die mit bunt zusammengewürfelten Monumenten aus verschiedenen Epochen bedeckt war. Die gesamte Geschichte der Stadt war ein einziger Versuch, eine bessere Aussicht zu bekommen, immer höhere Bauwerke an immer höher liegenden Orten zu errichten – Türme, Pfeiler und Säulen, alle mit engen Wendeltreppen hinauf zur Spitze –, und plötzlich erblickte Pat darin ein Symbol für die Entwicklung der Menschheit: das Streben, immer höher
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