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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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Straßenlaternen und Pfosten waren mit Flugblättern für die eine oder andere Vorstellung beklebt, und auf den Straßen drängten sich die Touristen, Hipster, Theaterfans im mittleren Alter und Künstler aller Art: zumeist Komiker, aber auch Schauspieler und Musiker, Einzelne, Paare und ganze Truppen, ein breites Spektrum von Mimen und Puppenspielern, Feuerschluckern, Einradfahrern, Magiern, Akrobaten, dazwischen weniger leicht Definierbares wie lebende Statuen, Typen, die sich als Anzüge an Kleiderbügeln maskiert hatten, Breakdance-Zwillinge – ein völlig durchgeknalltes Mittelalterfestival.
    Im Festivalbüro erklärte ein arroganter Scheißer mit Schnurrbart und einem Akzent, der noch viel stärker war als der von Joe – trällernder Tonfall und rollendes R –, dass Pat selber für sich Werbung machen musste und dass die Gage nur die Hälfte dessen betrug, was Joe zugesagt hatte. Auf Joes Einwand, dass eine gewisse Nicole den Betrag versprochen hatte, erwiderte der Schnurrbart, dass Nicole »nicht mal ihren eigenen Arsch« versprechen könne. Joe versuchte Pat mit der Versicherung zu trösten, dass er bereit sei, auf seine Provision zu verzichten, und Pat war überrascht, dass er überhaupt mit einer gerechnet hatte.
    Auf dem Weg zu ihrer Unterkunft ließ Pat das Ambiente auf sich wirken. Die Stadtmauern waren wie Felswände, und der älteste Teil – die Royal Mile – wand sich von der Burg aus wie ein Pflastersteinbach durch eine Schlucht von rußigen Steinbauten. Das laute Gewühl des Festivals erstreckte sich in alle Richtungen, und wo es nur ging, war in den prachtvollen Häusern Platz geschaffen worden für Bühnen und Mikrofone. Die schiere Zahl desperater Künstler raubte Pat den Mut.
    Pat und Joe bezogen ein untervermietetes Kellerzimmer in der Wohnung eines alten Paars. »Sagen Sie was Lustiges«, forderte der schielende Gatte, als er Pat traf.
    Am Abend brachte Joe Pat zu seinem Auftrittsort – eine Straße hinauf, eine Gasse hinunter, durch ein volles Pub in eine andere Gasse bis zu einer schmalen, hohen Tür mit kunstvollem Knauf in der Mitte. Eine desinteressierte Frau mit Klemmbrett führte Pat zu seinem Aufenthaltsraum, einer kleinen Kammer für Wasserrohre und Besen. Dort erklärte ihm Joe, dass die Zuschauer in Edinburgh oft nicht so zahl reich kamen, aber dann schnell mehr wurden, dass es Dutzende einflussreiche Rezensenten gab und dass nach den ersten Besprechungen – »vier Sterne garantiert« – bald die Massen strömen würden. Eine Minute später kündigte ihn die Frau mit dem Klemmbrett an, Pat umkurvte zu spärlichem Applaus eine Ecke und dachte: Was ist weniger als spärlich ? Denn in dem Raum mit vierzig Klappstühlen waren nur sechs Leute verstreut, darunter Joe und das alte Paar, bei dem sie wohnten.
    Doch Pat, der schon öfter in leeren Sälen gespielt hatte, ließ sich nicht beeindrucken und war in Hochform. Vor »Lydia« improvisierte er sogar etwas Neues: »Sie hat unseren Freunden erzählt, dass sie mich mit einer anderen Frau entdeckt hat. Wie wenn sie, was weiß ich, ein Heilmittel gegen Polio entdeckt hätte. Sie hat zu den Leuten gesagt, dass sie mich mit einer anderen erwischt hat, wie wenn sie Carlos den Schakal oder bin Laden gefasst hätte. Andererseits wäre das gar nicht so schwer, wenn der Kerl mit irgendwelchen Weibern in deinem Bett rumliegt.«
    Wieder einmal spürte Pat, dass auch die Wertschätzung weniger Zuschauer schwer wiegen konnte. Es war eine Genugtuung für ihn, wie oft er nach dem Auftritt das Wort brillant zu hören bekam, und er blieb die ganze Nacht auf, um gemeinsam mit dem noch aufgeregteren Joe zu überlegen, wie sie ein größeres Publikum anlocken konnten.
    Am nächsten Tag brachte Joe Plakate und Handzettel mit, die für die Show warben. Über einem Bild von Pat mit Gitarre stand der Titel: Pat Bender: Ich kann nicht anders! , dazu das Versprechen: »Einer der unverschämtesten Musikkomiker Amerikas!« und »Vier Sterne« von »Riot Police«. Solche Flugblätter zirkulierten auch für andere Künstler des Festivals, aber … Ich kann nicht anders ? Und Einer der un verschämtesten Musikkomiker Amerikas ? Was für ein Schwach sinn! Jeder Act musste solche Handzettel auslegen, erklärte Joe. Pat fand schon die Bezeichnung Musikkomiker zweifelhaft. Er war doch kein Zirkusclown. Schriftsteller durften respektlos sein und blieben trotzdem seriös. Auch Filmemacher. Aber von Musikern wurde erwartet, dass sie todernste Chorknaben waren – I

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