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Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
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einleuchtend klang, und als sie um halb fünf in Pats Wohnung in Northeast Portland Joes Gras rauchten und sich alte Songs von den Reticents anhörten (»Scheiße, Mann, das ist brillant, Pat! Wieso kenn ich das nicht?«), hatte sich die Idee zum Plan einer UK -Tour ausgewachsen, der eine ganze Palette von Pats Geld-Frauen-Karriere-Problemen lösen würde.
    Joe war der Meinung, dass Pats hektisch intelligentes Musikkabarett ideal zu den intimen Clubs und von eifrigen Agenten und TV -Scouts geförderten Comedy-Festivals in London und Edinburgh passe. Um fünf Uhr früh in Portland war es in Edinburgh ein Uhr nachmittags, also ging Joe hinaus, um ein Telefongespräch zu führen, und kam begeistert zurück: Ein Veranstalter des dortigen Fringe-Festivals konnte sich an die Reticents erinnern und hatte wegen einer kurzfristigen Absage noch eine Auftrittsmöglichkeit. Damit war alles klar. Pat musste nur von Oregon nach London fliegen, um den Rest kümmerte sich Joe: Unterbringung, Essen, Anreise, sechs Wochen bezahlte Gigs garantiert, Fortsetzung möglich. Händeschütteln, Schulterklopfen, und am Morgen setzte sich Pat mit seinen Schülern in Verbindung, um den Unterricht für den nächsten Monat abzusagen. So aufgeregt war er schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gewesen: Fünfundzwanzig Jahre nach seinen Anfängen ging er wieder auf Tour. Sicher waren die alten Fans manchmal enttäuscht, wenn sie ihn heute sahen – nicht nur davon, dass der frühere Frontmann der Reticents inzwischen Musikkabarett machte (Pat selbst zog den Begriff komischer Musikmonolog vor), sondern davon, dass Pat Bender überhaupt noch lebte und nicht auch eine dieser toten Berühmtheiten geworden war. Merkwürdig, dass sich ein Musiker allein schon durch sein Überleben verdächtig machte – als würde er damit die ganze verrückte Scheiße aus seiner Glanzzeit als Pose entlarven. Pat hatte sogar versucht, ein Stück über dieses seltsame Gefühl zu schreiben – »So Sorry to Be Here« –, aber der Song blieb in hohlem Junkiegeprahle stecken und wurde nie gespielt.
    Jetzt fragte er sich, ob dieses ganze Überleben nicht doch einen Sinn gehabt hatte: Vielleicht konnte er doch noch GROSSES erreichen. Trotzdem, so aufgeregt er auch war, während er E-Mails an die wenigen Freunde tippte, die er noch anpumpen konnte (»unglaubliche Gelegenheit« … »Chance, auf die ich gewartet habe«), Pat gelang es nicht, eine ernüchternde innere Stimme auszublenden: Du bist fünfundvierzig und rennst wie ein Zwanzigjähriger der Fantasie hinterher, in Europa berühmt zu werden!
    Früher hatte sich Pat diese Ermahnungen in der Stimme seiner Mutter Dee vorgestellt, die in ihrer Jugend versucht hatte, Filmschauspielerin zu werden, und die stets darauf aus war, den Ehrgeiz ihres Sohnes mit ihrer eigenen Desillusionierung zu dämpfen. Frag dich einfach , forderte sie ihn auf, wenn er eine Band gründen, eine Band verlassen oder einen Typen aus der Band schmeißen, wenn er nach New York ziehen oder New York verlassen wollte, geht es um die Kunst … oder eigentlich um was anderes?
    Was für eine blöde Frage , antwortete er zuletzt. Es geht immer um was anderes. In der Kunst geht es um was anderes! Und auch bei dieser bescheuerten Frage geht es um was anderes!
    Allerdings war es diesmal nicht die mahnende Stimme seiner Mom, die Pat hörte. Es war die Stimme von Lydia bei dem letzten Treffen mit ihr, mehrere Wochen nachdem sie sich zum vierten Mal voneinander getrennt hatten. An diesem Tag ging er zu ihrem Apartment, entschuldigte sich noch einmal und versprach, mit dem Trinken aufzuhören. Zum ersten Mal in seinem Leben, so beteuerte er, sah er alles mit klarem Blick. Das meiste von dem, was sie ablehnte, hatte er schon aufgegeben, und er hatte fest vor, die Sache zu Ende zu bringen.
    Lydia war anders als alle Menschen, denen er begegnet war: intelligent, witzig, selbstkritisch und scheu. Und schön, auch wenn sie es selbst nicht wahrnahm – es war das Geheimnis ihrer Attraktivität, dass sie nicht viel auf ihr Äußeres gab. Andere Frauen waren wie Geschenke, die ihn nach dem Auspacken regelmäßig enttäuschten. Lydia hingegen war wie ein geheimnisvoller Schatz, der unter ihren ausgebeulten Klamotten und dem tiefen Schirm ihrer Leninmütze zum Vorschein kam. Bei diesem letzten Treffen zog ihr Pat sanft die Mütze vom Kopf und schaute ihr in die whiskeybraunen Augen: Baby, mehr als Musik, Schnaps oder sonst irgendwas bist du es, die ich brauche.
    Die Augen feucht

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