Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schöne Ruinen

Schöne Ruinen

Titel: Schöne Ruinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Walter
Vom Netzwerk:
Hilflos ließ er den Blick durch die Telefonzelle wandern.
    Was konnte er sagen, welche edleren Gründe konnte er anführen? Wenn ich verspreche, dass ich nie wieder kiffe, trinke, lüge, stehle, kann ich dann nach Hause kommen? Wahrscheinlich hatte er das alles schon mal gesagt oder würde es in einer Woche oder einem Monat sagen, wenn diese Sache wieder anfing, und sie fing garantiert wieder an – dieses Bedürnfins, wichtig zu sein, groß herauszukommen, es höher hinaufzuschaffen. Warum sollte es nicht wieder anfangen? Was gab es denn sonst? Gescheiterte und Unbekannte. Dann lachte Pat. Er lachte, weil er merkte, dass dieses Telefonat einfach eine weitere Scheißshow in einer langen Reihe von Scheißshows war, wie der Rest seines Lebens und diese verdammte Konfrontation mit Lydia und seiner Mom, die für ihn so grauenvoll gewesen war, weil die beiden es nicht ernst gemeint hatten; sie hatten nicht begriffen, dass das Ganze einfach sinnlos war, solange sie nicht wirklich bereit waren, einen Schlussstrich zu ziehen.
    Diesmal … Am anderen Ende der Leitung deutete Lydia sein Lachen falsch. »Ach, Pat.« Sie senkte die Stimme fast zu einem Flüstern. »Was hast du genommen?«
    Nichts, wollte er antworten, doch ihm fehlte die Luft, um die Worte zu bilden. Und dann hörte Pat, wie seine Mutter hinter Lydia ins Zimmer kam, ihre Stimme schwach und gequält: »Wer ist es, Liebes?«
    Erst jetzt wurde Pat klar, dass es in Idaho drei Uhr morgens war. Um drei Uhr morgens hatte er seine todkranke Mutter angerufen, damit sie ihm wieder einmal aus der Patsche half. Noch am Ende ihres Lebens hatte sie diesen Sohn am Hals, der auch nach fünfundvierzig Jahren eine einzige Scheißshow war, und Pat dachte, mach es, Lydia, mach es einfach, bitte! »Mach es«, flüsterte er, als ein hoher roter Bus an der Telefonzelle vorbeidonnerte, und er hielt den Atem an, damit ihm kein Wort mehr entschlüpfte.
    Und sie machte es. Lydia holte tief Luft. »Ach, niemand, Dee.« Dann legte sie auf.

11
    Dee von Troja
    April 1962
    Rom und Porto Vergogna, Italien
    R ichard Burton war der schlechteste Fahrer, den Pasquale je kennengelernt hatte. Mit einem zusammengekniffenen Auge spähte er in Richtung Straße und hatte das Lenkrad locker zwischen zwei Fingern, den Ellbogen angewinkelt. In der linken Hand hielt er eine Zigarette aus dem Fenster, die ihn anscheinend nicht weiter interessierte. Vom Beifahrersitz aus starrte Pasquale auf das brennende Stäbchen in der Hand des Mannes und fragte sich, ob er es ihm wegnehmen sollte, ehe die Glut die Finger erreichte. Die Reifen des Alfa zwitscherten und quietschten, als sie aus dem Stadtzentrum herausschlingerten, begleitet vom wütenden Rufen und Fäusteschütteln der Fußgänger, die zurück auf den Gehsteig getrieben wurden. »Entschuldigung«, sagte er. »Verzeihung.« Oder: »Ach, hau ab.«
    Dass Richard Burton Richard Burton war, wusste Pasquale erst, seit ihn die Frau von der Spanischen Treppe vorgestellt hatte. »Pasquale Tursi. Das ist Richard Burton.« Davor war er ihr mit Michael Deanes Umschlag in der Hand durch zwei Straßen, eine Treppe hinauf in ein Restaurant und durch die Hintertür wieder hinaus gefolgt, bis sie schließlich auf diesen Mann in Sonnenbrille, Kammgarnhose und Sportjackett über einem Pullover und roten Halstuch trafen, der in einer engen Gasse, auf der keine anderen Autos zu sehen waren, an einem hellblauen Alfa lehnte. Richard Burton hatte die Sonnenbrille abgenommen und ein schiefes Lächeln aufgesetzt. Er war ungefähr so groß wie Pasquale und hatte dichte Koteletten, zerzaustes braunes Haar und ein gespaltenes Kinn. Die Gesichtszüge waren unglaublich markant, als wären sie in Einzelteilen gemeißelt und dann zusammengesetzt worden. Er hatte leichte Aknenarben im Gesicht und weit auseinanderliegende blaue Augen. Vor allem aber hatte er den größten Kopf, der Pasquale je untergekommen war. Er hatte noch nie einen Film mit Richard Burton gesehen und kannte seinen Namen nur von den zwei Frauen im Zug nach Florenz, doch ein Blick genügte, um zu wissen: Dieser Mann war ein Filmstar.
    Auf Bitten der Frau erklärte Pasquale die ganze Angelegenheit in stockendem Englisch: Dee Morays Ankunft in seinem Dorf, ihr Warten auf einen geheimnisvollen Mann, der nicht auftauchte, der Besuch des Arztes und Pasquales Fahrt nach Rom, das Versehen, durch das er zu den Statisten geschickt wurde, das Warten auf Michael Deane und zuletzt das anregende Treffen mit dem Mann, das mit einem

Weitere Kostenlose Bücher