Schöne Ruinen
soll ich jetzt nach Hause kommen?«, fragte Pat den Typen mit dem Schnurrbart.
»In die Staaten?« Der Mann gluckste durch die Nase. »Ähm, frag mich was Leichteres. Kann deine Gitarre schwimmen?«
Das einzig Wertvolle, das Pat in seinen schlechten Zeiten gelernt hatte, war, wie man sich auf der Straße durchschlug. Das hatte er nie mehr als ein paar Wochen am Stück gemacht, trotzdem sah er der Zukunft merkwürdig gelassen entgegen. In Edinburgh gab es mehrere Kategorien von Künst lern: große Acts, kleinere, bezahlte Profis wie Pat, Amateure, Senkrechtstarter, die ihm Rahmen von »Free Fringe« spiel ten, und darunter – nur knapp über Bettlern und Taschendieben – ein ganzes Spektrum von Straßenperformern: jamaikanische Tänzer mit schmutzigen Turnschuhen und zerrupften Dreadlocks, chilenische Gruppen, Magier mit fünf Tricks im Rucksack, eine Zigeunerin mit einer seltsamen Flöte. Dazu gesellte sich an diesem Nachmittag auf der Straße vor dem Café Costa Pat Bender und improvisierte witzige Texte zu amerikanischen Klassikern: Desperado, you better come to your senses / With a pound ’n’ twenty pences / You ain’t never gettin’ home.
Es gab genug amerikanische Touristen, und bevor er sich umschaute, hatte er fünfunddreißig Pfund zusammen. Er kaufte sich ein halbes Pint Bier und Backfisch, dann ging er zum Bahnhof, wo er erschrocken feststellte, dass das billigste Last-Minute-Ticket nach London sechzig Pfund kostete. Wenn er das Essen abzog, konnte es drei Tage dauern, bis er so viel zusammenhatte.
Unter der Burg war ein langer, schmaler Park, der auf beiden Seiten von den Stadtmauern begrenzt wurde. Durch diesen Park lief Pat, um sich einen Platz zum Schlafen zu suchen, doch nach einer Stunde fand er, dass er zu alt war, um draußen bei den Straßenkids zu pennen, also machte er sich auf den Weg nach New Town, kaufte eine Flasche Wodka und zahlte dem Nachtrezeptionisten eines Hotels fünf Pfund, damit er ihn in einer Toilettenkabine übernachten ließ.
Am nächsten Morgen stellte er sich wieder vor das Café und spielte. Nur um sich zu beweisen, dass er noch existierte, interpretierte er den alten Reticents-Song »Gravy Boat«. Als er aufblickte, bemerkte er die junge Frau, mit der er in der Besenkammer Sex gehabt hatte. Sie riss die Augen auf und packte ihre Freundin am Arm. »Hey, das ist er!«
Wie sich herausstellte, hieß sie Naomi, war erst achtzehn, aus Manchester und hier im Urlaub, zusammen mit ihren Eltern Claude und June, die, wie sich ebenfalls herausstellte, gerade in einem nahe gelegenen Pub aßen, ungefähr so alt wie er und nicht unbedingt begeistert waren, als sie den neuen Freund ihrer Tochter kennenlernten. Naomi brach fast in Tränen aus, als sie ihren Eltern berichtete, wie »wahnsinnig nett« Pat zu ihr gewesen, dass er von seinem Manager hereingelegt worden und jetzt hier gestrandet sei ohne Möglichkeit, nach Hause zu kommen. Zwei Stunden später saß er im Zug nach London mit einer Fahrkarte, die der Vater bezahlt hatte, ohnen einen Hehl daraus zu machen, dass er Pat loswerden wollte.
Während der Fahrt dachte Pat an Edinburgh, an all die desperaten Künstler, die in den Straßen Handzettel verteilten, an die Türme und Kirchen, Burgen und Klippen, an das Streben nach immer Höherem, an den Zyklus des Schaffens und des Zerstörens, der auf der Meinung aller beruhte, dass sie etwas Neues sagten oder machten, während doch in Wirklichkeit alles schon millionen- und milliardenfach da gewesen war. Etwas anderes hatte er nie gewollt. Groß herauskommen. Bedeutend sein.
Na ja. Er hörte förmlich Lydias Worte. Daraus wird wohl nichts.
Mit iPod-Stöpseln in den Löchern seines runden, eingedell ten Schädels öffnete Kurtis die Tür. Als er Pat sah, blieb sein Gesicht völlig unverändert – zumindest war es das, was Pat registrierte, als Kurtis ihn zurück in den Gang stieß und ihn an die Wand drückte. Pat ließ Rucksack und Gitarre fallen, dann – »Warte« – schlug Kurtis’ Unterarm gegen seinen Hals und schnitt ihm die Luft ab, gefolgt von einem Knie, das sich in seinen Unterleib bohrte. Türstehertricks, erkannte Pat, dann traf ihn eine breite Faust im Gesicht, und drosch ihm auch noch diesen Gedanken aus dem Kopf, und er rutschte an der Wand nach unten. Am Boden schnappte er nach Luft und wischte sich mit der Hand über das blutige Gesicht. Durch Kurtis’ Beine hindurch spähte er nach Umi oder Joe; doch das Apartment schien nicht nur leer … sondern völlig
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