Schöne Ruinen
demoliert. Er stellte sich den Ausbruch vor: Joe platzt herein, die ganze Scheiße zwischen den dreien kommt endlich aus Licht, Umi erfährt bestürzt von Joes Liebe zu ihr. Ihm gefiel die Vorstellung, dass Joe und Umi vielleicht irgendwo in einem Zug saßen, dessen Fahrkarten mit Pats fünfhundert Pfund bezahlt worden waren.
Dann merkte er, dass Kurtis in Unterwäsche war. O Gott, diese Leute. Keuchend stand Kurtis vor ihm und trat gegen den Gitarrenkoffer. Pat dachte: Bitte nicht meine Gitarre. »Du hirnloser Wichser«, ächzte Kurtis schließlich. »Du hirnloser Arschwichser.« Dann verschwand er nach drinnen. Sogar der Luftzug der zuknallenden Tür bereitete Pat Schmerzen.
Erst nach mehreren Sekunden konnte sich Pat aufrappeln, und er tat es nur, weil er Angst hatte, Kurtis könnte sich wieder über seine Gitarre hermachen.
Auf der Straße machten die Leute einen großen Bogen um ihn, weil Pat das Blut aus der Nase quoll. Einen halben Block weiter bestellte er sich in einem Pub ein Pint und wusch sich auf der Toilette mit einem Lappen und Eis. Danach behielt er das Mietshaus im Auge, in dem Kurtis wohnte, doch in den nächsten zwei Stunden sah er weder Joe noch Umi noch Kurtis.
Als sein Bier leer war, zog Pat sein restliches Geld aus der Tasche und legte es auf den Tisch: zwölf Pfund, vierzig Pence. Pat Bender starrte auf den traurigen Haufen, bis sein Blick verschwamm, dann legte er das Gesicht in die Hände und weinte. Irgendwie fühlte er sich gereinigt, durchdrungen von der Erkenntnis, dass ihn dieser Wahn, immer höher hinaufzuwollen, dem er in Edinburgh auf die Spur gekommen war, fast zerstört hatte. Er fühlte sich, als hätte er nach langem Weg endlich die andere Seite eines dunklen Tunnels erreicht.
Damit war jetzt Schluss. Er hatte keine Lust mehr darauf, wichtig zu sein. Er wollte nur noch leben.
Pat zitterte, als er hinaus in den kühlen Wind trat, getrieben von einer Entschlossenheit, die an Verzweiflung grenzte. Er glitt in die rote Telefonzelle vor dem Pub. Es roch nach Pisse, und überall hingen verblichene Werbezettel für krasse Stripshows und Hostessendienste für Transvestiten. »Sandpoint, Idaho … USA «, krächzte er ins Telefon und hatte Angst, die Nummer vergessen zu haben, doch kaum hatte er die Vorwahl genannt, fiel sie ihm wieder ein. Vier Pfund, fünfzig Pence verkündete die Telefonistin, fast die Hälfte seines Geldes. Doch Pat wusste, dass ein R-Gespräch nicht infrage kam. Diesmal nicht. Er steckte das Geld hinein.
Sie meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Hallo?«
Doch irgendwas stimmte nicht. Das war nicht seine Mutter. Entsetzt dachte Pat: Es ist zu spät. Sie ist gestorben. Das Haus war verkauft. Verdammt. Er war zu spät zur Vernunft gekommen und hatte die Chance verpasst, sich von dem einzigen Menschen zu verabschieden, der sich je etwas aus ihm gemacht hatte.
Blutend und weinend stand Pat Bender in einer roten Telefonzelle an einer belebten Straße im Süden von London. »Hallo?« Diesmal kam ihm die Stimme vertrauter vor, auch wenn es nicht die seiner Mutter war. »Ist da jemand?«
»Hallo?« Pat hielt den Atem an und wischte sich über die Augen. »Bist … bist du das, Lydia?«
»Pat?«
»Ja, ich bin’s.« Mit geschlossenen Lidern stellte er sie sich vor, die hohen Wangenknochen und das versonnene Funkeln in den dunklen Augen unter dem kurzen braunen Haar. Es fühlte sich an wie ein Zeichen. »Was machst du dort, Lydia?«
Sie erzählte ihm, dass seine Mutter wieder eine Chemotherapie mache. O Gott – dann war es noch nicht zu spät. Pat bedeckte den Mund. Sie wechselten sich mit der Betreuung ab, erklärte Lydia: zuerst die Schwestern, Pats furchtbare Tanten Diane und Darlene, und jetzt Lydia, die für ein paar Tage aus Seattle gekommen war. Ihre Stimme klang so klar und intelligent; kein Wunder, dass er sich in sie verliebt hatte. Sie war wie ein Kristall. »Wo bist du denn, Pat?«
»Du wirst es nicht glauben«, antwortete Pat. Ausgerechnet in London. So ein junger Typ hatte ihn zu einer UK -Tour überredet, doch jetzt steckte er in der Klemme, der Typ hatte ihn reingelegt und …
Pat spürte die Stille am anderen Ende der Leitung. »Nein, Lydia.« Er musste lachen. Er konnte sich gut vorstellen, wie das Ganze aus ihrer Perspektive aussah. Wie viele solche Anrufe hatte sie von ihm bekommen? Und seine Mom – wie oft hatte sie ihm aus der Patsche geholfen? »Diesmal ist es anders …« Er verstummte. Anders? Inwiefern? Was war denn diesmal?
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